Ein Blick über
de(ine)n Tellerrand
VON EDGAR EGGERT UND FABIAN HEINE
- Belgien
- Bulgarien
- Dänemark
- Deutschland
- Estland
- Finnland
- Frankreich
- Griechenland
- Großbritannien
- Italien
- Irland
- Kroatien
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- Niederlande
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- Schweden
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- Slowenien
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- Tschechien
- Ungarn
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Belgien
Elf Millionen Einwohner, sieben Parlamente, drei Sprachen und ein König. Das ist Belgien. Was die EU auf europäischer Ebene versucht, geschieht in Belgien schon seit Jahrhunderten im Kleinen: das Zusammenleben verschiedener Kulturen unter einem Dach. In Belgien leben drei Bevölkerungsgruppen: die niederländisch sprechenden Flamen im Norden, die französischsprachigen Wallonen im Süden und eine kleine Gruppe deutschsprachiger Belgier im Osten. Der flämische Norden, insbesondere die Region Antwerpen, ist wirtschaftlich wesentlich stärker als der wallonische Süden, der früher vor allem von Bergbau und Industrie lebte. Antwerpen dagegen, das von vielen Flamen als ihre Hauptstadt gesehen wird, ist schon seit dem Mittelalter ein wichtiger Umschlagplatz für Waren aus aller Welt und gelangte deswegen früh zu Reichtum. Solche kulturellen Konflikte reichen durch alle Gesellschaftsschichten bis in die Politik. Die meisten Parteien existieren nur in einer der drei Regionen. Das führt zu einer Zersplitterung des Parlaments, das nun aus 13 Parteien besteht. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Staatskrisen, durch die sich die nun größte Partei im belgischen Parlament, die separatistische Neu-Flämische Allianz (NV-A), weiter profilieren konnte. Die NV-A strebt langfristig eine Auflösung Belgiens an und war sogar Teil der Koalition von Premierminister Charles Michel, bis sie sich im Dezember 2018 zurückzog. Seitdem regiert Michel in einer Minderheitsregierung. Die Parlamentswahlen finden praktischerweise am 26. Mai gleichzeitig mit der Europawahl statt.
Die belgische Hauptstadt Brüssel ist auch die Quasi-Hauptstadt der Europäischen Union. Sie ist der Sitz der EU-Kommission, des Rates der Europäischen Union und der Arbeitssitz des Europäischen Parlaments. So wird es im Ausland als nahezu selbstverständlich angesehen, dass sich die EU in Belgien großer Beliebtheit erfreut. Das stimmt auch in großen Teilen. Zum Beispiel strebt Belgien seit den Anschlägen vom 22. März 2016 mehr Kooperation im Bereich der Sicherheit an. Dennoch sind Belgien und die EU auch schon aneinandergeraten. So wurde unter anderem das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada vorübergehend im Regionalparlament der Wallonie blockiert, nachdem alle 27 anderen EU-Staaten schon längst zugestimmt hatten. Belgien ist sozusagen ein Europa im Kleinen und repräsentiert wie kaum ein anderes Land das Motto: in Vielfalt geeint.
Bulgarien
Bulgarien, war lange Zeit Teil des Osmanischen Reiches, was man auch an seiner Küche erkennt: Sowohl die Bulgaren als auch die Türken sehen Sama als ihr Nationalgericht. Als die Osmanen nach dem Frieden von San Stefano 1878 das Land verließen, stand das Russische Zarenreich schon bereit, um das Machtvakuum zu füllen. Bulgarien blieb bis zum Fall der Sowjetunion im russischen Einflussbereich. 1990 begann der Wandel Bulgariens und aus der kommunistischen Volksrepublik wurde eine demokratische Republik. Seitdem ist das Land zwar demokratisch, wird aber von Korruption und Seilschaften geplagt. Aktueller Ministerpräsident ist Bojko Borissow, der das Land nach zweifachem Rücktritt zum dritten Mal mit seiner konservativen GERB führt. Borissow steht in der Kritik, nicht genug gegen Korruption im Land zu tun, denn Bulgarien stagniert schon seit Jahren im unteren Mittelfeld des Korruptionswahrnehmungsindex CPI in illustrer Gesellschaft von Ländern wie Burkina Faso und Weißrussland. Eine weitere Konfliktlinie tut sich beim Umgang mit der Minderheit der Sinti und Roma auf, die der Regierung Diskriminierung vorwerfen. Die Regierung streitet dies wiederum mit Verweis auf den aus ihrer Sicht fehlenden Integrationswillen der Minderheit ab. Gleichzeitig gilt Ministerpräsident Borissow als EU-freundlich.
Bulgarien ist seit 2007 Mitglied der Europäischen Union. Das Land profitiert seit dem Beitritt von den Strukturfonds der EU, die das wirtschaftlich unterentwickelte Land unterstützen sollen. Von 2014 bis 2020 werden insgesamt knapp 10 Milliarden Euro in Infrastruktur, Bildung und Landwirtschaft investiert. Das Land ist zwar Teil der EU, aber weder Mitglied des kontrollfreien Schengen-Raums noch der Eurozone. Die wirtschaftliche Schwäche verhindert den Beitritt Bulgariens in die Euro-Zone und spiegelt sich auch im Mindestlohn von 1,57 Euro wider, der der niedrigste in der gesamten EU ist. Das Land bezieht 100 Prozent seines Gases aus Russland; noch immer gibt es enge Verbindungen zum ehemaligen Schirmherrn. Zum Vergleich: Die EU als Ganze bezog 2017 gerade einmal 35 Prozent ihres Gases aus Russland. In der Bevölkerung des Landes erfreut sich die EU aber großer Beliebtheit. Viele junge Bulgaren zieht es seit dem Beitritt in die reichen Staaten im Westen des Kontinents. Diese Abwanderung macht Bulgarien zum am schnellsten schrumpfenden Staat der Welt.
Dänemark
Eigentlich steht in Dänemark dieses Jahr die nächste Folketingswahl (Parlamentswahl) an. Wann genau die aber stattfinden soll, erfahren die Dänen traditionsgemäß erst drei Wochen im Voraus. Bislang regiert Løkke Rasmussen mithilfe des sogenannten „Blauen Blocks“, bestehend aus seiner rechtsliberalen Venstre, der rechten Dänischen Volkspartei, Liberaler Allianz und den Konservativen. Zuletzt geriet der dänische Ministerpräsident in die Schlagzeilen, als er zum Kündigungsgespräch seiner als Lehrerin arbeitenden Ehefrau höchstpersönlich erschien und die Schulleitung durch seine Anwesenheit einschüchtern wollte. Außerdem ließ er sich eine eigene Raucherkabine in seinem Büro installieren. Ob solche Kontroversen Løkke Rasmussen und seiner Venstre-Partei nachhaltig schaden könnten, wird sich bei der Wahl zeigen. Ersten Prognosen zufolge könnte ein Sammelbündnis aus linken Parteien bei der nächsten Wahl eine Mehrheit erreichen. Allerdings wird vermutet, dass weitere 3-4 neuere Parteien ins Parlament einziehen. Bei bereits zehn vertretenen Parteien könnte die Regierungsbildung in Dänemark für den kommenden Ministerpräsidenten zur strategischen Herkulesaufgabe werden. Besonders die EU-skeptische Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei/DF) prägte die Debatten der letzten beiden Jahrzehnte. Die Partei behauptet, sich an konservativen dänischen Werten zu orientieren und warnt eindringlich vor einer Überfremdung Dänemarks. Dabei konnte die DF nach 2001 eine strikte Migrationspolitik durchsetzen und zeigte sich besonders nach der Flüchtlingskrise vermehrt islamkritisch. Im kommenden Wahlkampf zeichnet sich neben Migration besonders Umweltpolitik als zweites entscheidendes Thema ab.
Dänemarks Verhältnis zur Europäischen Union ist einzigartig. Wegen einer Besonderheit in der dänischen Verfassung wurde bereits fünfmal über EU-Angelegenheiten per Volksentscheid abgestimmt. So wurde beispielsweise der Vertrag von Maastricht 1992 von den Dänen im ersten Anlauf abgelehnt und erst eine revidierte Version mit mehreren „Opt-outs” ein Jahr später akzeptiert. Deshalb gelten für Dänemark in der Wirtschafts- und Währungsunion, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Justiz- und Innenpolitik und bei der EU-Bürgerschaft Sonderregelungen. So sind die Dänen beispielsweise kein Teil der gemeinsamen europäischen Außenpolitik und haben den Euro nicht eingeführt. Auf der einen Seite gibt es dadurch einige der Debatten, die in anderen Ländern über die EU-Mitgliedschaft geführt werden, in Dänemark nicht. Auf der anderen Seite wurde in der Vergangenheit mehrfach darüber diskutiert, ob dieser Sonderstatus die dänische Integration in die EU verhindern würde, was bereits zu einigen Abstimmungen über die Abschaffung dieser „Opt-outs“ führte. In den nächsten Monaten könnte es deshalb zu einer erneuten Volksabstimmung zur Beseitigung des Sonderstatus in Dänemarks Sicherheits- und Verteidigungspolitik kommen. Insgesamt stehen die Dänen der EU positiv gegenüber, sind jedoch auch nicht so eng in den Staatenbund eingegliedert wie andere Staaten.
Deutschland
In Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren Einiges verändert. Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel kündigte ihren Rückzug aus der Politik nach der nächsten Wahl an und führt eine brüchige Große Koalition aus SPD und CDU/CSU. Zuvor waren die Verhandlungen für eine sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP gescheitert. Im Bundestag sitzen derzeit sechs Fraktionen – mehr als je zuvor. Das liegt auch an der breiter gefächerten Struktur der deutschen Bevölkerung: Während CDU und SPD um ihre schrumpfende Stammwählerschaft bangen und die Grünen wie die FDP viele junge, urbane Bürger an sich binden, ist die AfD vor allem im Osten stark. Dort, meinen Experten, fühlen sich viele vom „Establishment“ vergessen und wählen dementsprechend verstärkt die populistische Linke und Rechte. Annegret Kramp-Karrenbauer (genannt AKK), Merkels designierte Nachfolgerin, versucht, die Konservativen um sich zu scharen, indem sie die CDU wieder rechts der Mitte positioniert. Dadurch sollen enttäuschte Wähler von der AfD zurückgeholt werden und eine stärkere Abgrenzung zur SPD und den Grünen stattfinden. Die zweite Regierungspartei, die sozialdemokratische SPD, rückt indessen programmatisch nach links. Dieses „Auseinanderdriften” von CDU/CSU und SPD führt zu Konflikten innerhalb der Regierung. Es bleibt dementsprechend fraglich, ob diese Koalition noch bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 hält.
Deutschland wird gemeinhin zusammen mit Frankreich als Motor des europäischen Projektes gesehen. Schon die Gründung der EU lässt sich zu großen Teilen auf den Aussöhnungsprozess der beiden Staaten zurückführen. Als bevölkerungsreichster und wirtschaftlich stärkster Mitgliedstaat setzt sich Deutschland innerhalb der EU unter anderem für mehr Kooperation in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft und Außenpolitik ein. In der Finanzpolitik jedoch stehen die deutsche Bundesregierung und ein großer Teil der Bevölkerung einer Umverteilung zwischen europäischen Staaten kritisch gegenüber. Die ambitionierten Projekte Emmanuel Macrons für Sozialpolitik und EU-Reformen finden in Berlin wenig Resonanz. Von daher geriet der deutsch-französische Motor zuletzt etwas ins Stottern. Vor allem in der militärischen Kooperation gab es jedoch Fortschritte, auch weil Frankreich die deutsche Passivität kritisierte. Angela Merkel wiederholte zuletzt die Forderung des französischen Präsidenten nach einer „echten europäischen Armee”.
Estland
Der nördlichste der drei baltischen Staaten wählte im März 2019 die liberale Reformpartei unter ihrer Chefin Kaja Kallas zur größten politischen Kraft. Seitdem bemüht sich Kallas erfolglos, eine Regierung zu bilden. Das Land war jahrhundertelang im russischen Einflussbereich und wurde erst 1991 von der zerfallenden Sowjetunion unabhängig. Seit 2004 ist Estland Mitglied der EU. Seitdem dominieren die sozialliberale Zentrumspartei und die liberale Reformpartei das politische Geschehen. Unter liberaler Leitung hat sich das Land zu einem der technologisch fortschrittlichsten Staaten der Welt entwickelt. Insbesondere im Bereich E-Governance ist das Land ein Pionier. So kann seit 2005 sogar online gewählt werden. Eine Besonderheit ist die verschärfte Sicherheitslage seit der russischen Annexion der damals ukrainischen Krim 2014, die die Angst vor einer aggressiven russischen Außenpolitik schürte. In Estland muss jeder Mann Wehrdienst leisten, viele NATO-Truppen sind in dem kleinen Baltenstaat stationiert. Etwa 30 Prozent der Einwohner Estlands sind ethnische Russen, die oft weder die estnische Staatsbürgerschaft noch dieselben Möglichkeiten wie Estländer haben.
E-Governance: Die Nutzung digitaler Technologien, um staatliche Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen.
Estland stimmte Ende 2003 über einen Beitritt in die EU ab, der mit 66 Prozent Zustimmung die niedrigste Unterstützung in den osteuropäischen Staaten fand. Estland sieht die EU insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Handel und Investitionen als einen engen Verbündeten. Als Teil der NATO und der EU kooperiert das Land eng mit den großen westlichen Militärmächten in der Außenpolitik. Zudem profitiert es von Investitionen in seine Infrastruktur. Als Teil des „North Sea – Baltic Corridor”-Projekts wird Estland mit den Bahnnetzen der anderen baltischen Staaten und über Polen mit Deutschland verbunden. Dadurch soll der Warenaustausch zwischen den Ländern vereinfacht werden. Mit einer Staatsschuldenquote von 10 % ist Estland in Europa der absolute Musterschüler der Haushaltspolitik. Die Europäische Kommission hat aber auch Bedenken über den Umgang der Regierung mit den russischsprachigen Einwohnern Estlands geäußert. Nach Urteil der EU handelt es sich bei ihnen teilweise um Nicht-Bürger, da sie zum Beispiel nicht wählen dürfen. Aus diesem Grund wird Estland teilweise als Ethno-Demokratie bezeichnet.
Finnland
Bis vor Kurzem wurde das skandinavische Land mit 5,5 Millionen Einwohnern von einer liberal-konservativen Koalition regiert, die jedoch unmittelbar vor den Wahlen im April 2019 zurücktrat. Bei der Wahl gewannen die Sozialdemokraten sehr knapp vor den rechtspopulistischen „Wahren Finnen” und den Konservativen. Die Zersplitterung der politischen Landschaft wird die Regierungsbildung sehr schwierig gestalten. Neben der Einwanderung ist das Sozialsystem ein ständiges politisches Thema im Land: Finnland hat neben Japan die am schnellsten alternde Bevölkerung weltweit. Seit Jahrzehnten haben verschiedene Regierungen vergeblich versucht, Reformen auf den Weg zu bringen, scheiterten aber immer wieder an politischen Streitigkeiten. Die finnische Wirtschaft hat in den letzten Jahren zu alter Stärke zurückgefunden, nachdem die Weltwirtschaftskrise, der Niedergang des Nokia-Konzerns und die Wirtschaftssanktionen gegen das benachbarte Russland das finnische Wachstum vorübergehend beeinträchtigt hatten. Besonderen Einfluss auf die wirtschaftliche Erholung Finnlands hatte dabei ein umstrittenes Programm der alten Regierung zur Arbeitskosten- und Lohnsenkung, um die Konkurrenzfähigkeit der finnischen Wirtschaft voranzutreiben. Im Zuge dieses Programms sind beispielsweise die Löhne finnischer Arbeitnehmer knapp drei Jahre lang nicht angehoben worden. Auch der Tourismus konnte zur wirtschaftlichen Regeneration Finnlands beitragen. Zudem experimentiert das Land seit einiger Zeit in groß angelegten Versuchen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, das für mehr Zufriedenheit und finanzielle Unabhängigkeit sorgen soll. Die Zukunft der teuren Feldstudie ist aber momentan ungewiss.
Die letzte finnische Regierung hat sich für eine weitere finnische Integration in die EU eingesetzt. Allerdings hat besonders die griechische Staatsschuldenkrise zum Erstarken der rechtspopulistischen und EU-skeptischen Partei “Wahre Finnen” geführt, die nach der Wahl in 2015 sogar für einige Zeit ein Teil der aktuellen Regierung waren.
2010 drohte der griechische Staatsbankrott durch Überschuldung des Staatshaushalts nach der Weltwirtschaftskrise von 2008. Die griechische Wirtschaft wurde in der Folge durch umstrittene Darlehen der Europäischen Zentralbank (EZB) unterstützt.
Nach der wirtschaftlichen Erholung Finnlands scheint die finnische Bevölkerung der EU gegenüber wieder mehrheitlich positiv gestimmt zu sein. Durch die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland ist Finnland noch näher an den europäischen Binnenmarkt herangerückt, wobei der Export in die EU inzwischen 60 Prozent des gesamten Warenhandels ausmacht. Im Juli 2019 wird Finnland die für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen und kann die politische Agenda der Union damit beeinflussen. Dafür braucht es aber zunächst einmal eine Regierung.
Frankreich
Der Einzug von Präsident Emmanuel Macron in den Élysée-Palast im Mai 2017 schürte in ganz Frankreich Hoffnung auf sozialpolitische Reformen. Macron wollte die Wirtschaft wettbewerbsfähiger, den öffentlichen Dienst effizienter und die Polizei und das Militär stärker machen und ganz nebenbei noch der stetig steigenden französischen Staatsverschuldung Einhalt gebieten. Gerade zu Beginn seiner Präsidentschaft setzte Macron viele der versprochenen Reformen in hohem Tempo um, darunter wirtschaftsfreundliche Reformen des Arbeitsmarkt und des Steuersystems. Macron sah sich in letzter Zeit jedoch wachsendem Widerstand ausgesetzt und musste sein Kabinett mehrfach umbauen. Im November 2018 startete die Protestwelle der Gelbwesten (Gilets Jaunes) als Reaktion auf eine CO2-Steuer, die die Benzinpreise weiter steigen ließ. Inzwischen ist die Bewegung ein Sammelbecken für Enttäuschte und Frustrierte aus dem gesamten politischen Spektrum. Präsident Macron reagierte auf die Proteste mit einer Bezuschussung des Mindestlohns und der Aussetzung einer geplanten Rentenkürzung, wobei er zusätzlich auch die Erhöhung der Benzinpreise revidierte. Seit dem Höhepunkt der Massenproteste konnten sich Macrons Zustimmungswerte wieder leicht erholen. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Proteste den Reformwillen des Präsidenten nachhaltig ausbremsen konnten.
Frankreich ist die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas und übernimmt in Kooperation mit Deutschland eine Führungsrolle in der Europäischen Union. Emmanuel Macron und seine Bewegung „En Marche” sind pro-europäisch und warben bei der Wahl 2017 nicht nur für einen Wandel in Frankreich, sondern auch für eine Reformierung der Europäischen Union. In seiner „Initiative für Europa” stellte Emmanuel Macron 2017 an der Sorbonne Universität seine Vision für die Neugründung eines souveränen, geeinten und demokratischen Europas vor. Dabei schlug Macron ein eigenes Eurozonenbudget, eine Digitalsteuer und den Posten des europäischen Finanzministers vor.
Vergeblich wartete man währenddessen in Frankreich auf eine Antwort aus Berlin, da man sich ohne die Unterstützung Deutschlands keine großen Chancen auf umfassende Reform ausrechnete. So wurden bisher nur kleinere Fortschritte in den Verhandlungen um die Zukunft der EU erzielt. So wurde das geplante Eurozonenbudget zwar verabschiedet, allerdings in viel kleinerem Umfang als von Macron anvisiert. Innerhalb Frankreichs könnte ein Scheitern der Reformversuche Macrons die EU-skeptische, populistische Rechte um Marine Le Pens Rassemblement National (ehemals Front National) weiter erstarken lassen. Die Verhandlungsposition Macrons in Brüssel könnte weiter untergraben werden, wenn er, wie prognostiziert, durch seine umfangreichen Zugeständnisse an die Gelbwesten mehr als europaweit vereinbarten 3 Prozent Neuverschuldung aufnimmt. Zu allem Überfluss entzündete sich an der Migrationspolitik zuletzt noch ein Streit mit der rechtspopulistischen italienischen Regierung, sodass Macron sogar den französischen Botschafter aus Rom abberief.
Griechenland
Ministerpräsident Alexis Tsipras konnte Anfang Januar mit einer einzigen Stimme Vorsprung das Amt des griechischen Ministerpräsidenten in einem Vertrauensvotum verteidigen. Tsipras hatte dabei bis zu Beginn diesen Jahres mit einer Koalition aus der sozialistischen Syriza, auch „Koalition der radikalen Linken”, und der rechtspopulistischen ANEL-Partei der „Unabhängigen Griechen” regiert. Im Streit um den nördlichen Nachbarn Mazedonien war der Verteidigungsminister und Vorsitzender der ANEL Panagiotis Kammenos zurückgetreten und hatte eine Regierungskrise ausgelöst, da Tsipras seine Mehrheit im Parlament verlor. Konkret protestierte Kammenos gegen eine Kompromisslösung zur Namensänderung Mazedoniens in „Republik Nordmazedonien”. Sowohl eine Region im Norden Griechenlands als auch das ehemals jugoslawische Land erhoben Anspruch auf den Namen “Mazedonien”, was zu einem 28 Jahre währenden Namenskonflikt führte, der erst jetzt beigelegt werden konnte. Tsipras und seiner Partei werden bisher geringe Chancen eingeräumt, bei der Parlamentswahl im Oktober diesen Jahres ein ähnlich gutes Ergebnis wie 2015 einzufahren. Damals war Tsipras als linker Reformer und Herausforderer der EU angetreten, hatte sich aber im Zuge seiner Amtszeit unauffällig Stück für Stück dem Kurs der EU angenähert.
In der griechischen Parteipolitik ergibt sich hinter Syriza und der konservativen Nea Demokratia ein vielschichtiges Bild, das von der proeuropäischen To Potami über die kommunistische und EU-skeptische KKE bis hin zur neonazistischen und gewaltbereiten Partei Chrysi Avgi (goldene Morgendämmerung) reicht. Die globale Finanzkrise traf vermutlich keine EU-Nation so stark wie die Griechen, die erst langsam zur wirtschaftlichen Normalität zurückkehren. Zuletzt konnte die Regierung durch seine jahrelange Sparpolitik einen Rekordüberschuss erwirtschaften und zum ersten Mal seit der Krise Sozialleistungen erhöhen. Nichtsdestotrotz wurde die griechische Bevölkerung von den europäischen Sparmaßnahmen hart getroffen. Trotz Protesten wurde der griechische Mindestlohn während der Krise auf 3,40 Euro gesenkt und einigen Senioren über die Hälfte der Pension gekürzt. Die griechische Jugendarbeitslosigkeit ist mit 39 Prozent weiterhin die höchste in ganz Europa und hat schon unzählige junge Griechen zum Auswandern bewogen.
Die Griechen und EU – spätestens nach den Olympischen Spielen in Athen 2004 sah es nach einer passenden Partnerschaft aus. Mit Ausbruch der Wirtschaftskrise und der Erkenntnis, dass das griechische Finanzministerium sogar Zahlen zur Staatsverschuldung verfälscht hatte, um nicht gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu verstoßen, ist das Verhältnis erkaltet. Nach der besonders von Deutschland durchgesetzten Austeritätspolitik haben sich die Beziehungen zu den anderen Staaten auf dem Kontinent allerdings wieder verbessert.
Austerität bezeichnet eine strenge staatliche Haushaltspolitik zur Verringerung der Staatsschulden, die meist durch öffentliche Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen durchgesetzt wird.
Den Griechen gelang es zumindest in Teilen, den maroden Verwaltungsapparat zu reformieren. Steuerflucht und Sozialbetrug hatten den griechischen Staat über Jahrzehnte Milliarden gekostet. So gaben 2014 nur 5000 Griechen bei der Steuer an, über 100.000 Euro pro Jahr zu verdienen, was bei ca. 11 Millionen Einwohnern enorm unwahrscheinlich ist. Zuletzt ist die Beliebtheit der EU in Griechenland allmählich wieder angestiegen. Man darf dabei nicht vergessen, dass nicht allzu lange vor dem „Brexit” noch das Thema des „Grexit”, also der mögliche Austritt Griechenlands aus der Eurozone, das beherrschende Thema in der EU-Politik war. In den kommenden Jahren wird es entscheidend für die griechische Politik, das verlorene Wirtschaftswachstum endlich aufzuholen, da es so scheint, als seien die Möglichkeiten für weitere Sparpolitik ausgereizt. Die Europawahl, bei der natürlich auch einige EU-kritische Parteien antreten, wird zeigen, wie tief die Wunden der Krise noch sind und ist darüber hinaus ein guter Gradmesser für die Parlamentswahl Ende diesen Jahres.
Großbritannien
Italien
65 verschiedene Regierungen in etwa 70 Jahren, ohne jemals eine Frau an die Spitze der Regierung zu befördern, haben der italienischen Politik das Image eines chaotischen Männervereins eingetragen. Seit Mitte 2018 wird Italiens Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte geführt, ein parteiloser Rechtswissenschaftler mit relativ wenig politischer Erfahrung, der jedoch vor knapp vier Jahren mit der heutigen Führung der Fünf Sterne Bewegung in Kontakt gekommen sein soll. Conte war der Kompromisskandidat der beiden populistischen Parteien Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung, die sich nach dreimonatiger politischer Krise zu einer Koalition durchringen konnten. Interessant ist dabei, dass die Lega und die Fünf-Sterne Bewegung sowie ihre jeweiligen Parteichefs Matteo Salvini und Luigi Di Maio sich in vielen Themen uneinig sind und Streitigkeiten über die Wahl des Ministerpräsidenten nur durch die Wahl eines Außenseiters beenden konnten. Insgesamt ist die aktuelle Regierung eine neuartige Mischung aus Populisten und Technokraten, Hardlinern und versöhnlichen Figuren, EU-Kritikern und EU-Befürwortern. Die neue Regierung setzt dabei besonders auf zwei Themen: zum einen die Migration. Besonders der italienische Süden ist mit der Ankunft von mehreren hunderttausend Flüchtlingen über die Mittelmeerroute überfordert. Salvini nutzte diese instabile Lage, um mit seiner Lega mit einem demonstrativ harten Kurs gegenüber Flüchtlingen zu punkten. Salvini hatte die Partei, die ursprünglich Lega Nord hieß und eine Autonomie des Nordens befürwortete, vor der Wahl als ultrarechte Kraft auf ganz Italien ausgeweitet. Generell herrscht in Italien ein jahrhundertealtes Spannungsfeld zwischen dem wirtschaftlich stärkeren Norden um Turin, Mailand, Venedig und Florenz und dem deutlich ärmeren Süden. Wegen dieser Ungleichheit bemühten sich viele norditalienische Regionen intensiv um die Unabhängigkeit. Das zweite große Themenfeld ist und bleibt die marode italienische Wirtschaft. Italien hat das langsamste Wirtschaftswachstum der Eurozone und ist neben Griechenland das einzige Land, dessen Wirtschaftsleistung auch zehn Jahre nach der Finanzkrise immer noch kleiner als vor der Krise ist, während die Staatsverschuldung bei 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. Die Lega sowie die Fünf-Sterne-Bewegung haben dabei im Wahlkampf auf eine Mischung aus Steuererleichterungen und erhöhten Staatsausgaben gesetzt: In der finalen Haushaltsplanung hatte eine Intervention der EU, die eine hohe Neuverschuldung des Landes fürchtete, den Plan allerdings erheblich eingeschränkt.
Viele Italiener äußerten in der Vergangenheit ihren Unmut darüber, in der Flüchtlingskrise von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen worden zu sein. Besonders die Lega wollte Italien entlasten, indem Migranten an der Grenze abgewiesen und Geflüchtete in Europa verteilt werden sollen. Bei der Europawahl werden ihr über 30 Prozent zugetraut, was sie zur zweitgrößten nationalen Partei im EU-Parlament machen würde. Salvini hat dabei in der Vergangenheit besonders die europäische Sparpolitik kritisiert und eine Abschaffung des Euros und vieler europäischer Verträge von Maastricht bis Schengen gefordert. Die Fünf-Sterne-Bewegung zeigt sich ebenfalls EU-kritisch und will die Sozialpolitik deutlich großzügiger gestalten. Ministerpräsident Conte versicherte jedoch, dass es keine Bestrebungen gebe, aus dem Euro auszusteigen. Einige Italiener fühlen sich als drittgrößte Volkswirtschaft der EU aus der deutsch-französischen Achse ausgeschlossen. Besonders junge Italiener sind wegen der niedrigen Beschäftigungsperspektiven und der stagnierenden Wirtschaft von der EU enttäuscht, wobei Italien vor nicht allzu langer Zeit noch als das EU-freundlichste Gründungsmitglied galt. Für die EU hätte eine weitere Wirtschafts- und Bankenkrise in Italien gravierende Folgen, da die EZB im Zuge der lockeren Geldpolitik eine enorme Anzahl italienischer Staatsanleihen erworben hat. Wenn die Verschuldung Italiens weiter ansteigt, könnte Italien seine Schulden irgendwann nicht mehr begleichen, was diese Anleihen entwerten und den Haushalt der EZB ins Ungleichgewicht bringen würde. Einige Experten warnen deshalb, die EZB könne Italien nicht vor einem möglichen Staatsbankrott bewahren. Daher wird die Personalie des zukünftigen EZB-Präsidenten, der im Herbst dieses Jahres bestimmt wird, gerade für Italien interessant.
Irland
Irland wird gängigerweise mit Guinness-Bier, dem heiligen St. Patrick und striktem Katholizismus assoziiert. Nun trinken die Nigerianer mehr Guinness als die Iren, St. Patrick war Brite und Irland hat inzwischen eine tolerante Gesetzgebung bezüglich gleichgeschlechtlicher Ehen, Abtreibungen und Scheidungen, die bis 1996 noch illegal waren. Wo steht das Land, das sich eine Insel mit dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland teilt, also heute?
Leo Varadkar von der konservativen Fine Gael ist seit 2017 der irische Regierungschef (genannt Taoiseach, gesprochen „Tiischoch”) und stützt sich auf eine von der konservativen Fianna Fail geduldeten Minderheitsregierung. Dieses Amt übernahm Varadkar von seinem Parteikollegen Enda Kenny, der nach der Wahl im Frühjahr 2016 zum zweiten Mal das Amt des Premierministers innehatte, die absolute Mehrheit aber deutlich verpasste.
Wenn in einem parlamentarischen System die regierungsbildenden Fraktionen keine Mehrheit der Stimmen haben, spricht man von einer Minderheitsregierung. Sie müssen sich ihre Mehrheiten immer neu suchen und gelten deshalb als instabil.
Enda Kenny wurde dabei von den Wählern für seine harte Sparpolitik während der Wirtschafts- und Finanzkrise bestraft. Diese Politik wird von vielen Seiten aber als Haupttreiber der Erholung der irischen Wirtschaft gesehen, wobei besonders Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit gesunken sind. Die irische Hauptstadt Dublin ist als europäischer Firmenstandort für globale Unternehmen wie Google oder Facebook attraktiv. Das wurde allerdings wiederholt von der EU kritisiert, da die Unternehmen mit niedrigen Steuern ins Land gelockt wurden. Problematisch ist dabei besonders die stetig wachsende Wohnungsnot in Dublin, das heute trotz seiner vergleichsweise geringen Größe und den niedrigeren Gehältern noch vor Paris die teuersten Mietpreise der Eurozone aufweist. Mit 22 Prozent hat Irland dazu den höchsten Anteil an relativer Armut in Westeuropa.
Während 2013 noch 29 Prozent der Iren einen Austritt der EU im Falle eines Brexits befürwortet hätten, ist diese Zahl bis 2018 auf gerade einmal 10 Prozent gesunken. Die Iren und ihr Premierminister Leo Varadkar sind pro-europäisch gestimmt, wobei das Brexit-Votum und der wirtschaftliche Aufschwung diese Entwicklung noch verstärkt haben. Da Irland durch seine Grenze zu Nordirland vom Brexit betroffen ist, sind die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien für die Iren von besonderer Bedeutung. Auf der einen Seite konnte Dublin als Wirtschaftsstandort vom Abzug einiger Firmen aus London profitieren, auf der anderen Seite herrscht Sorge über die zukünftigen Beziehungen zu Nordirland. Eine harte Grenze und die Wiedereinführung von Zollabfertigungen im Falle eines No-Deal-Brexits könnten den irischen Friedensprozess nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 gefährden. Der Pakt hatte damals die mehrere Jahrzehnte dauernden gewaltsamen Auseinandersetzungen von katholischen Iren und protestantischen Briten auf der Insel beendet.
Kroatien
Das schmale Küstenland mit mehr als 1000 Inseln blickt auf innenpolitisch relativ ruhige Jahre zurück, vor allem wenn man bedenkt, dass vor nicht einmal 25 Jahren im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens in Kroatien noch Krieg herrschte. Bei den Parlamentswahlen 2016 konnte sich Andrej Plenković von der christdemokratischen HDZ durchsetzen und ist seit Oktober des Wahljahres Premierminister Kroatiens. Die überraschend hohen Ergebnisse für Plenković, der mit der HBZ während des Wahlkampfes in die Mitte gerückt war, wurden von manchen Kommentatoren als Abkehr von aufkeimenden nationalistischen und populistischen Tendenzen in der kroatischen Politik gewertet. Die Opposition im kroatischen Parlament, dem Sabor, wird von der sozialdemokratischen SDP angeführt. Die wirtschaftliche Lage Kroatiens hat sich in den letzten Jahren wieder von der Weltwirtschaftskrise 2008 erholt.
Kroatien ist erst 2013 der Europäischen Union beigetreten und somit das jüngste Mitglied des Bundes. Bevor Ministerpräsident Plenković in die kroatische Parteipolitik wechselte, war er in seiner diplomatischen Laufbahn als Leiter der Abteilung für europäische Integration beschäftigt. 2010 wurde er dann als Staatssekretär für europäische Integration berufen und übernahm eine wichtige Rolle bei den kroatischen Verhandlungen um den EU-Beitritt. Jetzt bereitet der Ministerpräsident den kroatischen Beitritt zum Euro vor und will dafür die Staatsverschuldung von aktuell 86 Prozent bis 2021 auf 65 Prozent verringern, was ein sogenanntes Maastricht-Kriterium für die Aufnahme in die Eurozone darstellt. Die Kroaten erhoffen sich davon ein höheres Wirtschaftswachstum durch vereinfachten Handel mit der Eurozone. Darüber hinaus haben viele im Land bereits Rücklagen in Euro angesammelt, sogar Immobilien- oder Fahrzeugverkäufe werden immer häufiger in Euro statt in der nationalen Währung Kuna abgewickelt. In den nächsten Monaten wird es darauf ankommen, ob die kroatischen Wähler für die Europawahl mobilisiert werden können. Bei den kroatischen Neuwahlen 2016 lag die Wahlbeteiligung bei historisch schlechten 52,6 Prozent, während bei der ersten kroatischen Europawahl 2014 nur etwa ein Viertel der wahlberechtigten Kroaten an der Abstimmung teilnahm.
Lettland
Eingeklemmt zwischen Estland und Litauen liegt Lettland. Der kleine Staat im Baltikum mit unter zwei Millionen Einwohnern ist seit 2004 Mitglied der EU und wurde 2014 Teil der Eurozone. Seit dem Beitritt in die Europäische Union wuchs die Wirtschaft rasant, teils sogar zweistellig. Das lag vor allem an den guten Unternehmensbedingungen und hohen Staatsausgaben. Letztere sollten das Land noch verfolgen. Als die Wirtschaft 2008 durch die Finanzkrise in eine tiefe Rezession fiel, musste das Land schmerzhafte Einsparungen vornehmen. Während dieser Zeit fielen die Löhne, die Arbeitslosigkeit erreichte über 20 Prozent. Doch mit der Zeit stabilisierte sich die Lage und die Wirtschaft wuchs wieder. Obwohl in den letzten Jahren viele Fortschritte gemacht wurden, bleibt das Land das ärmste der drei baltischen Staaten. Lettland hat ein zersplittertes Parlament und wird aktuell von einer Koalition aus einer bunten Mischung von proeuropäischen liberalen Parteien und konservativen EU-kritischen Parteien von Premierminister Krišjānis Kariņš geleitet. Damit ist die größte, vor allem von Russen gewählte sozialdemokratische Partei „Saskaņa“ („Harmonie”) nicht in der Regierung. Denn ähnlich wie in Estland gibt es auch in Lettland eine große russische Minderheit mit etwa 220.000 staatenlosen Mitgliedern. Daher erschweren ethnische Konflikte die Koalitionsbildung. Nach der Annexion der Krim wurde auf Wunsch der lettischen Regierung eine große Zahl an NATO-Truppen an die lettisch-weißrussische Grenze verlegt. Russland sieht sich nämlich auch als Schutzmacht der in Lettland lebenden, seit Jahrzehnten benachteiligten Russen.
Wie alle baltischen Staaten hat auch Lettland eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Deutsche, Polen, Schweden und Russen waren alle mindestens einmal die Machthaber Lettlands. Nach dem Ersten Weltkrieg war es kurz unabhängig, wurde aber nach Ende des Zweiten Weltkriegs von der Sowjetunion besetzt. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das Land wirklich unabhängig. Die Letten sehen die EU vor allem als Garant für diese Unabhängigkeit. So fühlen sich über 70 Prozent der Letten der EU verbunden und auch die aktuelle Regierung koordiniert sich vor allem in Fragen der Außenpolitik eng mit EU und NATO. Die lettische Wirtschaft profitiert zudem von den Strukturfonds und den Subventionen der EU. Genau wie Estland ist Lettland Teil des “North Sea – Baltic Corridor” Projektes. Dadurch sollen die baltischen Staaten enger in den kontinentalen Markt eingebunden werden und der Region zu größerem Wohlstand verhelfen.
Litauen
Letztes Jahr wurde in Litauen das 100-jährige Bestehen des Landes gefeiert, von denen es aber ganze 45 als Teil der Sowjetunion verbrachte. Der südlichste der drei baltischen Staaten hat genau wie seine Nachbarn im Norden eine Geschichte, die vom Kampf um Unabhängigkeit geprägt ist. Und genau wie auch in Estland und Lettland dreht sich so Einiges um Russland. Seit 2014 ist die ehemalige EU-Kommissarin Dalia Grybauskaitė die Präsidentin des Landes. Damit ist sie für die Außenpolitik verantwortlich, während sich der Premierminister des Landes, Saulius Skvernelis, vor allem um innenpolitische Angelegenheiten kümmert. Bei den Wahlen 2016 gewann er mit Unterstützung des Bauernbundes und der Grünen die Mehrheit im Parlament und bildet gemeinsam mit den Sozialdemokraten eine Regierung. Vor allem der Brain-Drain aus Litauen sollte gestoppt werden. Nach dem Beitritt in die EU wanderten gerade die jungen Litauer in die westlichen Staaten aus. Dadurch ist die Bevölkerung des kleinen Landes seit dem Beitritt in die EU um circa 25 Prozent geschrumpft und die Gesellschaft überaltert.
Brain-Drain bezeichnet die Abwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften ins Ausland. Im Inland fehlen dann gut ausgebildete Arbeitskräfte.
Die Regierung hofft, diese Abwanderung durch die Verbesserung der Lebensumstände zu stoppen. Teil dieses Programmes ist es unter anderem, dem hohen Alkoholkonsum der Bevölkerung Einhalt zu gebieten. Deswegen wurde ein neues restriktives Alkoholgesetz verabschiedet, das unter anderem den Verkauf von Weinflaschen in Restaurants untersagte. Die Regierung zerbrach aber schon rund ein Jahr später aufgrund eines personalpolitischen Konfliktes. Seitdem regiert Skvernelis mit einer Minderheitsregierung unter Duldung der Sozialdemokraten.
Litauen ist Mitglied der EU und der NATO sowie Teil des Schengen-Raums und des Euros. Die NATO und die EU sind vor allem in Fragen der Sicherheitspolitik für Litauen von großer Bedeutung. Als Teil der „Forward Presence” befinden sich seit der Annexion der Krim rund 450 deutsche Soldaten gemeinsam mit Soldaten aus anderen NATO-Staaten in Litauen. Das Land versucht, im Konflikt zwischen Westen und Russland eine mäßigende Rolle einzunehmen. So sprach sich die Präsidentin gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Litauen aus. Aber auch bei der Wirtschaft kooperiert es eng mit der EU und seinen Nachbarn. Als ehemalige Sowjetrepublik ist ein großer Teil der Infrastruktur veraltet und beschädigt. Die europäischen Strukturfonds stellen dem Land große finanzielle Mittel zur Bewältigung dieser Probleme bereit. Aber es gibt auch Konflikte mit anderen EU-Staaten. So sind die Beziehungen zwischen Polen und Litauen angespannt, da konservative Litauer eine „Slawisierung“ des Landes befürchten, während sich die polnische Minderheit über anhaltende Repressalien beklagt. Zuletzt entzündete sich ein Streit an der Schreibweise polnischer Namen in litauischen Pässen.
Luxemburg
In Luxemburg wurde zuletzt im Oktober 2018 gewählt. Das Land mit rund einer halben Million Einwohner, das zwischen Deutschland, Belgien und Frankreich liegt, wählte erneut Xavier Bettel. Der Liberale regiert gemeinsam mit den Sozialdemokraten und den Grünen. Mit dieser Ampelkoalition möchte Bettel das Land in vielen Bereich neu gestalten. So wird ab 2020 der Bahn- und Busverkehr umsonst sein, Cannabis soll legalisiert sowie eine Emissionssteuer eingeführt werden. Unter Bettel wurde auch die Verfassung geändert: Formal ist immer noch der Großherzog, derzeit Henri von Nassau, das Staatsoberhaupt. Nachdem er sich aber weigerte, ein Gesetz zur Legalisierung der Sterbehilfe zu unterzeichnen, beraubte ihn das Parlament kurzerhand vieler seiner Befugnisse. Zudem wurden in Luxemburg Referenden eingeführt, deren Ausgang in der Vergangenheit Bettel und seine Regierung mehrfach unter Druck setzen, da sie die von der Regierung geforderten Reformen ablehnten. Das Land gilt als Steuerparadies, viele Firmen haben ihren offiziellen Europasitz zumindest auf dem Papier in Luxemburg. Das hat immer wieder für Unstimmigkeiten gesorgt. Vor allem Deutschland kritisiert die Steuerpolitik seines Nachbarn, in dem multinationale Konzerne wie Amazon gerade einmal 2,2 Prozent Steuern auf ihre Gewinne zahlen. Auch EU-Institutionen wie der Europäische Gerichtshof tagen in Luxemburg. Sein Bruttoinlandsprodukt von über 105.000 US-Dollar pro Kopf ist mit Abstand das höchste der Welt.
Als Gründungsstaat der EU, der schon aufgrund seiner Größe immer eng mit seinen Nachbarn Deutschland, Belgien und Frankreich verbunden war (wenn auch nicht immer freiwillig), gilt Luxemburg als einer der größten Verfechter des europäischen Projekts. Und so passt es, dass auch der aktuelle Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus Luxemburg stammt. In dem Land leben viele Menschen aus der gesamten EU. Gerade einmal 48 Prozent der Einwohner besitzen die luxemburgische Staatsbürgerschaft, somit ist über die Hälfte der Einwohner nicht wahlberechtigt. Vor allem die Institutionen der EU lockten viele Menschen in das Land. Es hilft zudem, dass Luxemburg naturgemäß mehrsprachig ist. Französisch, Deutsch und Luxemburgisch sind allesamt offizielle Amtssprachen. Das Land ist aber nicht nur aufgrund seiner Steuerpolitik immer wieder in den internationalen Nachrichten: Premierminister Bettel, der offen homosexuell ist, macht sich immer wieder öffentlich und im Ausland für die Rechte sexueller Minderheiten stark.
Malta
Der kleine Inselstaat im Mittelmeer hat stürmische Zeiten hinter sich. 2017 wurde die bekannte Journalistin Daphne Caruana Galizia, die Korruption in der Politik aufgedeckt hatte, durch eine Autobombe ermordet. Zuvor hatte sie mit Hilfe der Panama Papers die illegalen Machenschaften eines Ministers sowie des Stabschefs von Premierminister Joseph Muscat öffentlich gemacht und damit das politische Establishment aufgerüttelt. Selbst der Premierminister könnte über eine Scheinfirma seiner Frau in Korruption verwickelt sein.
Die Panama Papers sind über 11 Millionen Dokumente, die detailliert aufzeigen, wie einflussreiche Personen mithilfe von Offshore-Konten Steuervermeidung und -hinterziehung betrieben.
Das Land, das lange als eines der prosperierenden Staaten innerhalb der EU gesehen wurde, hat ein großes Korruptionsproblem. Das liegt möglicherweise an seiner verkrusteten Parteienlandschaft. Premierminister Muscat, der 2017 in seinem Amt bestätigt wurde, ist Mitglied in der sozialdemokratischen Partit Laburista, eine der beiden großen Parteien. Die andere große Partei ist die konservative Partit Nazzjonalista, die das Land 2004 in die EU führte. Diese beiden Parteien sind seit der Unabhängigkeit 1964 von Großbritannien die einzigen Parteien im Maltesischen Parlament und haben sich seitdem nur wenig verändert. Sie werden von einigen wenigen Familien dominiert, es soll kriminelle Machenschaften geben und Seilschaften spielen eine wichtige Rolle. Unter Muscat hat das Wirtschaftswachstum stark zugenommen und beträgt aktuell 6,4 Prozent. Das war aber nicht nur durch das starke Wachstum der Tourismusbranche bedingt, sondern vor allem durch niedrige Steuern, eine lasche Finanzaufsicht und lockere Regulierungen. Dadurch entwickelte sich Malta zu einem wichtigen Banken- und Versicherungsstandort.
Durch die Deregulierung und niedrigen Steuern wurden viele Finanzunternehmen in das Land gelockt. Doch nicht nur legale Transaktionen wurden von Malta aus koordiniert. Im Sommer 2018 wurde das Land von der EU kritisiert, nicht genügend gegen Geldwäsche zu unternehmen. Die maltesische Pilatus Bank musste Ende letzten Jahres aufgrund von Vorwürfen der Geldwäsche, die unter anderem von Daphne Caruana Galizia erhoben wurden, auf Druck der Europäischen Zentralbank schließen. Malta wird von der EU-Kommission auch für die Vergabe von Staatsbürgerschaften als Gegenleistung für Investitionen und Spenden scharf kritisiert. Dadurch, argumentiert die EU, werde Europa anfälliger für Geldwäsche. Als Reaktion auf diese Vorwürfe stattete die Regierung die maltesische Finanzaufsicht mit mehr Mitteln aus und verschärfte einige Regulierungen. Doch diese Schritte sind nicht genug, das Land von der Liste der Steuerparadiese der OECD zu streichen. Malta ist damit das einzige Land der gesamten Europäischen Union auf der Liste.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist ein internationaler Zusammenschluss wirtschaftlich hochentwickelter Staaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichten.
Niederlande
Die Niederlande sind eine konstitutionelle Monarchie mit König Willem-Alexander an der Spitze. Die eigentliche Macht hat aber der 2017 zum dritten Mal wiedergewählte Premierminister Mark Rutte von der rechtsliberalen VVD. Dieser befindet sich in einer Regierungskoalition mit den konservativen Parteien CDA und CU sowie der linksliberalen D66. Diese sehr unterschiedlichen Parteien hatten sich nach langen 7 Monaten der Regierungsbildung zusammengerauft, auch um eine Regierung unter Beteiligung der rechtspopulistischen PVV zu verhindern. Die PVV hat zwar nur ein Mitglied (Parteichef Geert Wilders) und ein einseitiges Wahlprogramm, konnte die aktuelle Debatte über Einwanderung und den Islam aber nutzen, um 2017 zur zweitstärksten Kraft im Parlament zu werden. Bei den Provinzwahlen 2019 gewann auch eine andere neue rechtspopulistische Partei an Relevanz: Das „Forum voor Democratie“ ist nun die größte Partei in der ersten Kammer, die dem Bundesrat ähnelt. Sie fordert unter anderem ein Referendum über die niederländische EU-Mitgliedschaft. Insgesamt ist die Parteienlandschaft traditionell zersplittert. Im Parlament sitzen derzeit 13 verschiedene Fraktionen.
Die Niederlande als wirtschaftlich erfolgreiche Handelsnation, die in Rotterdam unter anderem Europas größten Hafen beherbergt, profitiert besonders vom gemeinsamen Binnenmarkt der EU. Umfragen zeigen auch, dass eine Mehrzahl der Niederländer ein positives Bild von der Union haben. Trotz alledem gibt es vor allem im Bereich der Wirtschaftspolitik einige Konflikte mit der EU. Wie die meisten nordeuropäischen Staaten sind auch die Niederlande kritisch gegenüber Transfers von den reichen Staaten im Norden zu den wirtschaftlich schwächeren Ländern in Ost und Süd. Und auch die hohen Agrarsubventionen sind den Niederländern ein Dorn im Auge, was auch durch die eigenen wirtschaftlichen Interessen erklären lässt. Das Land hat einen extrem wettbewerbsfähigen Agrarsektor, der zu großen Teilen nicht von Subventionen abhängig ist. Stattdessen solle sich die EU auf die wichtigen Themen konzentrieren: Klima, Sicherheit und Migration. Und das am besten mit weniger Geld. Um auch als relativ kleines Land seine Interessen durchzusetzen, haben die Niederlande innerhalb der EU eine Interessengemeinschaft gebildet: die Benelux-Staaten. Dieses Bündnis aus Belgien, den Niederlanden und Luxemburg unterstützt sich schon seit Jahrzehnten gegenseitig. Dass die Premierminister aller drei Länder derzeit in der liberalen ALDE-Fraktion im Europaparlament organisiert sind, hilft dabei natürlich. Der zum Teil kritische Ton aus Den Haag gegenüber Brüssel lässt sich zum Teil historisch erklären. Das geschichtsträchtige Land errichtete schon im 17. Jahrhundert ein mächtiges Kolonialreich und dominierte den Welthandel über Jahrhunderte. Diese Ära wird in den Niederlanden „Goldenes Zeitalter“ genannt und erfüllt viele Niederländer bis heute mit Stolz.
Österreich
Österreich wurde lange Zeit von einer “Großen Koalition” der beiden etablierten Parteien des Landes, der konservativen ÖVP und sozialdemokratischen SPÖ, regiert. Seit 1986 wurde das Bündnis der beiden Parteien mit Ausnahme der Jahre von 2000 bis 2006 trotz schwindender Mehrheiten immer wieder gebildet. Im Jahre 2000 wurde erstmals eine Koalition aus ÖVP und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) eingegangen. Somit ist die ÖVP seit Sebastian Kurz’ Geburtsjahr, 1986, durchgehend in der Regierung. Die FPÖ konnte sich besonders durch Kritik an den Konsequenzen des verkrusteten Parteiproporz-Verfahrens der Großen Koalition profilieren, wonach sämtliche Positionen von staatsnahen Institutionen bis zum lokalen Kegelverein und Lesezirkel stets mit Berücksichtigung einer ausgeglichenen Repräsentation zwischen ÖVP und SPÖ besetzt wurden. Die erste schwarz-blaue Regierung ist bis heute in der österreichischen Debatte präsent. Die Amtszeit von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) wurde dabei von nationalem und internationalem Widerstand gegen die Regierungsbeteiligung der von Jörg Haider geleiteten FPÖ und Korruptionsskandalen um FPÖ-Regierungsmitglieder begleitet. Gerade die Personalie Jörg Haider konnte die österreichische Politik zu seinen Lebzeiten (er starb Ende 2008 in einem Autounfall) entscheidend mitgestalten. Haider zog sich zwar mit Beginn der schwarz-blauen Koalition in die Kärntner Landespolitik zurück, dennoch polarisierte und dominierte er die FPÖ in den folgenden Jahren weiterhin, was 2002 zu einem parteiinternen Konflikt führte, der mehrere Regierungsmitglieder der FPÖ zum Rücktritt bewegte und Neuwahlen auslöste. Dabei wurde Haider immer wieder für seine rechtsextremen, antisemitischen und populistischen Aussagen kritisiert und war in mehrere Kontroversen verwickelt. Nach 2006 regierte wieder die Große Koalition.
Als 2016 der SPÖ-Kanzler Werner Faymann zurücktrat, zogen mit dem ehemaligen CEO der Österreichischen Bundesbahnen, Christian Kern, zunächst neuer Schwung und Optimismus ins Bundeskanzleramt am Ballhausplatz ein. Nach nicht einmal zwei Jahren zog sich Kern jedoch wieder aus der Politik zurück, da er bei der vorgezogenen Nationalratswahl 2017 vom 31-jährigen Sebastian Kurz besiegt wurde, der innerhalb der ÖVP in enormer Geschwindigkeit zum Vorsitzenden aufgestiegen war. Kurz bricht mit der Großen Koalition und regiert fortan mit der rechtspopulistischen FPÖ, wobei Heinz-Christian (kurz „HC“) Strache zum Vizekanzler ernannt wird. Die Grünen ziehen bei der Wahl nach 31 Jahren nicht mehr ins Parlament ein. Die FPÖ gibt sich inzwischen zwar als moderate Rechtspartei, gelangt jedoch auch immer wieder durch Aussagen gegen den Rechtsstaat und Migranten in die Schlagzeilen, was von Sebastian Kurz allerdings nur selten kommentiert wird. Wirtschaftlich hat Österreich sich gut von der Finanzkrise erholt und konnte 2018 ein Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent bei sinkender Arbeitslosigkeit vermelden, wovon Bundeskanzler Kurz profitieren könnte.
Österreich hat ein durchaus gespaltenes Verhältnis zur Europäischen Union. Auf der einen Seite beschreiben aktuell nur 22 Prozent der Österreicher die Europäische Union als “negativ” und auch politisch scheint keine Partei die Vorteile einer österreichischen EU-Mitgliedschaft ernsthaft anzuzweifeln. Dennoch gehört Österreich traditionell zu den EU-kritischen Ländern im Staatenbund. Obwohl die FPÖ für lange Zeit eine europäische Integration befürwortet, wandelt sie sich unter Jörg Haider zu einer zunehmend skeptischen Partei, die der EU ein Demokratiedefizit und Überschreitung des Subsidiaritätsprinzips attestieren wird. Bundeskanzler Kurz gibt sich betont proeuropäisch, kritisiert die EU aber auch immer wieder öffentlich. Immer wieder werden europäische Themen wie unter anderem die Bewältigung der Flüchtlingskrise oder die Verhandlung über das Freihandelsabkommen TTIP in der österreichischen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Die österreichische Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2018 erhielt gemischte Kritiken und wurde von den Themen Migration und den Austrittsverhandlungen der EU mit Großbritannien dominiert. Bei aller Kritik an der EU begreifen sich viele und gerade junge Österreicher als Europäer.
(Ergänzung der Redaktion, 18.5.2019: Nach einem publik gewordenen Video, das den Vizekanzler, Heinz-Christian Strache, und den geschäftsführenden Klubchef der Freiheitlichen, Johann Gudenus, in einen politischen, zweifelsohne moralischen und vielleicht auch strafrechtlich relevanten Skandal verwickelt hatte, kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz am 18.5.2019 die türkis-blaue Koalition auf. Das Video zeigt Strache und Gudenus vor der Nationalratswahl 2017 in einer Finka auf Ibiza mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte. Sie verhandeln über illegale Parteispenden, die Beeinflussung unabhängiger Medien und die korrupte Verleihung von Staatsaufträgen. Sowohl Strache als auch Gudenus traten infolge des Skandals zurück. Die Opposition kritisierte Sebastian Kurz, weil er zu lange über die sogenannten Einzelfälle der FPÖ hinweggesehen habe und gewusst habe, worauf er sich mit dem blauen Koalitionspartner eingelassen hatte. Einige Fragen, besonders jene der illegalen Parteienfinanzierung, könnten die österreichische Innenpolitik noch längere Zeit beschäftigen. Neuwahlen folgen voraussichtlich im Herbst.)
Polen
Auch für die Polen wird 2019 ein entscheidendes Wahljahr. Neben der Europawahl im Mai wird im Herbst auch das Parlament erneut gewählt. Seit 2015 wird Polen von der nationalkonservativen “Recht und Gerechtigkeit” (PiS) regiert; zunächst mit Beata Szydło als Ministerpräsidentin und seit Ende 2017 mit dem ehemaligen Wirtschafts- und Finanzminister Mateusz Morawiecki an der Spitze. Der Großteil der Opposition in der Sejm, dem polnischen Parlament, besteht seit 2015 aus liberalen Parteien wie der liberal-konservativen “Bürgerplattform”, die vom aktuellen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk mitgegründet wurde. Großen Einfluss auf die polnische Politik hat der PiS-Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski, dem nachgesagt wird, aufgrund mangelnder Popularitätswerte selbst nicht zu kandidieren und entscheidende Posten lieber mit ihm nahestehenden Personen zu besetzen. Die Wahl der PiS 2015 wurde weitgehend als Rechtsruck charakterisiert, verstärkt durch den Umstand, dass es der zersplitterten Linken nicht gelang, ins Parlament einzuziehen. In der nächsten Wahl wird der PiS nach aktuellen Umfragen weiterhin eine Mehrheit vorausgesagt. Spannend wird auch zu beobachten, wie die neue “Wiosna”-Partei auf europäischer und nationaler Ebene abschneiden wird. Die Partei von Robert Biedron will ihre umweltfreundliche und liberale Politik aus der progressiven Stadt Slupsk auf die nationale Ebene übersetzen, könnte aber auch die politische Linke weiter zersplittern und so der PiS die Wiederwahl erleichtern.
Ein Schock durchlief Polen als vor einigen Monaten mit Pawel Adamowicz der langjährige Bürgermeister von Gdansk, ein Zentrum der Opposition gegen die PiS, bei einer Benefizgala erstochen wurde. Dieses Ereignis entfachte eine Debatte über die toxische Atmosphäre und den rauen Umgangston in der polnischen Politik seitdem die PiS die Regierung stellt. Zuletzt gab es ein Aufflammen der Spannungen zwischen Israel und Polen, nachdem die israelische Führung den Polen teilweise Mittäterschaft am Holocaust und Antisemitismus attestiert hatte, was zu einem polnischen Boykott eines Gipfeltreffens zwischen Israel und den osteuropäischen Visegrád Staaten führte.
Die Visegrád-Gruppe ist ein informelles Bündnis zum Informationsaustausch und der Koordinierung politischer Positionen in der EU bestehend aus Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei.
Seitdem Polen 2004 der EU beigetreten ist, wuchs die polnische Wirtschaft um über 50 Prozent und wies Jahr für Jahr das höchste Wirtschaftswachstum aller EU-Staaten auf. Polen war dabei das einzige Land der EU, das nach der Wirtschaftskrise keine Rezession durchgemacht hat. Die polnische Bevölkerung gehört zu den EU-freundlichsten in ganz Europa. Über 87 Prozent der Polen sind davon überzeugt, dass ihr Land von der EU-Mitgliedschaft profitiert. Polen ist nicht zuletzt der größte Nettoempfänger (2017: 8,6 Mrd. €) und hat enorm von der Binnenfreizügigkeit innerhalb der EU profitiert.
Warum also wird Polen aktuell von vielen Seiten als “Sorgenkind” der EU gesehen? Die PiS ist seit dem Wahlsieg 2015 ein ums andere Mal auf Konfrontationskurs mit verschiedenen Organen der EU gegangen. Besonders die Justizreformen sorgten in den letzten Jahren für erheblichen Konflikt. Die polnische Regierung verabschiedete unter anderem eine Reform des Justizsystems, die beispielsweise die Altersgrenzen für Richter am Obersten Gericht senkte und die politische Kontrolle über gewisse Teile der Justiz erhöhte. Das führte unter anderem dazu, dass ein Drittel aller Richter am Obersten Gericht in den Ruhestand geschickt und die richterliche Unabhängigkeit in vielen Bereichen infrage gestellt wurde. Der Streit eskalierte soweit, dass die Europäische Kommission in den letzten Jahren Klagen beim EuGH erhob, mehrere Vertragsverletzungsverfahren eröffnete und sogar ein Rechtsstaatsverfahren (Artikel 7) einleitete, dass in letzter Konsequenz den Entzug von Stimmrechten bedeuten könnte. Immerhin hielt sich Polen an das Urteil des EuGH und bot Richtern an, aus dem Ruhestand wieder zurückzukehren, was manche Beobachter als Hoffnungsschimmer werteten. Innerhalb der polnischen Bevölkerung wird die EU jedoch sehr positiv betrachtet. Es gibt auch bei der PiS keinerlei Bestrebungen, aus der EU auszuscheiden. Die zunehmende Aufsässigkeit der Visegrád-Staaten, insbesondere von Ungarn und Polen, erschwert die gemeinsame politische Entscheidungsfindung in Brüssel jedoch erheblich. Interessant wird auch zu beobachten, ob und in welcher Funktion der aktuelle EU-Ratspräsident Donald Tusk nach seiner Amtszeit in die polnische Politik zurückkehren wird.
Portugal
Portugal wird seit 2015 von Premierminister António Costa und seiner sozialdemokratischen “Sozialistischen Partei” regiert. Costas Minderheitsregierung verlässt sich dabei auf Tolerierungsabkommen mit der Linksblock-Partei und ein Bündnis aus Kommunisten und Grünen. Die Weltwirtschaftskrise hat Portugal schwer getroffen und führte zu einer Rezession von 2011 bis 2013 und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf bis zu 16,2 Prozent. Die Regierung reagierte mit Sparmaßnahmen und Portugal fiel unter den Euro-Rettungsschirm. Diese Maßnahmen waren besonders bei den linken Parteien zwar unbeliebt, wurden jedoch häufig als notwendiges Übel zur wirtschaftlichen Regenerierung angesehen. Seit 2014 wächst die portugiesische Wirtschaft wieder und ist nach Bruttoinlandsprodukt kürzlich auf Vorkrisenniveau gestiegen, bei einer Arbeitslosenquote von sieben Prozent. Dennoch ist, nach einem OECD Report, die portugiesische Armutsrate relativ hoch und der Lebensstandard relativ gering im Vergleich zu anderen OECD Ländern.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD ist ein internationaler Zusammenschluss wirtschaftlich entwickelter Staaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichten.
In jüngerer Vergangenheit war EU-Politik nicht besonders präsent in der portugiesischen Öffentlichkeit. Trotz einer gewissen Ablehnung der Sparpolitik war die Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2014 mit 34 Prozent historisch niedrig. Die regierende Sozialistische Partei sowie viele der Oppositionsparteien sind deutlich pro-europäisch. Während das Regierungsbündnis aus sozialistischer Partei und den beiden Partnern, bestehend aus einer Linksblock-Partei und einem Bündnis von Kommunisten und Grünen, sich in innenpolitischen Fragen nahestehen, gehen die Ansichten zur EU schon weiter auseinander. Die traditionsreiche kommunistische Partei hat sich in der Vergangenheit beispielsweise für einen Austritt Portugals aus dem Euro ausgesprochen. Bis jetzt scheint Premierminister António Costa potenzielle Spannungen mit seinen Bündnispartnern jedoch vermeiden zu können, da der Schwerpunkt seiner Bündnispartner die Innenpolitik ist. Bei der kommenden Europawahl treten in Portugal eine Reihe neuer mitte-rechts Parteien an. Dabei wird es mit Hinblick auf die Parlamentswahlen, die ebenfalls in der zweiten Hälfte diesen Jahres stattfinden werden, spannend zu beobachten, wie diese Bewerber abschneiden. Insgesamt scheint Europapolitik in der portugiesischen Öffentlichkeit aktuell eher ein zweitrangiges Thema zu sein.
Rumänien
Auch in Rumänien ist das Nationalgericht Sama. Aber anders als in Bulgarien ist es nicht mit Schwein, sondern mit Rind gefüllt. Wenn man im Westen über die beiden Länder spricht, werden sie gerne in einen Topf geworfen. Aber auch wenn sie, genau wie Sama, von außen gleich erscheinen, unterscheiden sie sich im Inneren. Rumänien war lange Zeit geteilt. Während der Süden, genau wie Bulgarien, Teil des Osmanischen Reiches war, wurde der Nordwesten von der Österreich-Ungarischen Herrschaft geprägt. Im Norden des Landes liegt Siebenbürgen, in dem bis Ende des Zweiten Weltkrieges eine große deutsche Minderheit lebte. Aus dieser Region stammt auch der aktuelle deutschstämmige Präsident, Klaus Johannis. Bei seiner Wahl wurden die historischen Unterschiede in dem Land deutlich. Während im Südosten die PSD gewann, die zu großen Teilen aus ehemaligen Kommunisten besteht, wurde im Nordosten der Liberale Johannis gewählt. Dieser Unterschied ist aber nicht nur historisch bedingt. Besonders im Süden führte das Ende des Kommunismus zu hoher Arbeitslosigkeit, das zur Entvölkerung weiter Teile der Region führte. Anders als bei den Präsidentschaftswahlen konnte sich die PSD aber bei der Parlamentswahl 2016 durchsetzen und regiert seitdem mit einer anderen kleinen liberalen Partei.
2017 kam es zu großen landesweiten Protesten mit bis zu 500.000 Teilnehmern. Die Proteste richteten sich unter anderem gegen die Regierung und ihr absurdes Vorhaben, Schmiergeldzahlungen bis zu 43.000 Euro zu de-kriminalisieren. Wie es der Zufall so will, würde diese Amnesie unter anderem auch den Parteichef der PSD, Liviu Dragnea, betreffen. Die EU-Kommission prüft die Einleitung eines Artikel 7-Verfahrens wegen Verstoß gegen europäische rechtsstaatliche Standards.
Rumänien ist eines der ärmsten Länder in der EU. Seit das Land 2007 Mitglied wurde, wuchs die Wirtschaft zwar signifikant, aber es bedarf noch vieler Reformen. Wie auch in den anderen ehemaligen Ostblockstaaten spielen dabei die Strukturfonds der EU eine wichtige Rolle. Mit ihnen sollen große Teile der veralteten Infrastruktur erneuert und besserer Zugang zu Bildungseinrichtungen ermöglicht werden. Die EU kritisiert Rumänien aber für die geringe Nutzung der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel. So wurde nur eine kleine Menge des gesamten Geldes bis jetzt investiert, da Planung und bürokratische Prozesse oft sehr lange dauern. Das liegt vor allem an der Korruption im Land, die regelmäßig sowohl von außen als auch innen angeprangert wird. Das Land wird ähnlich wie Bulgarien wegen seines Umgangs mit den Minderheiten der Sinti und Roma kritisiert. Doch auch wenn das Land immer wieder negative Schlagzeilen macht, hat es noch bis Ende Juni die sechsmonatige EU-Ratspräsidentschaft inne und strebt eine Mitgliedschaft im Schengen- und Euroraum an. Die Europäischen Sozialdemokraten suspendierten die PSD Anfang April diesen Jahres.
Schweden
Das repräsentative Staatsoberhaupt Schwedens ist bereits seit 1973 König Carl XVI. Gustaf.
Nach der Wahl 2018 herrschte für lange Zeit Stillstand, da kein Kompromiss für eine Regierungsbildung im zersplitterten Parlament gefunden werden konnte. Eine Parteienallianz aus vier mitte-rechts Parteien konnte keine funktionierende Mehrheit für sich gewinnen. Der amtierende Ministerpräsident Stefan Löfven von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei konnte im Januar diesen Jahres durch eine Koalition mit den Grünen das Vertrauensvotum im Parlament für sich entscheiden. Dafür musste er allerdings einen 73-Punkte Plan mit erheblichen Zugeständnissen mit verschiedensten Parteien ausarbeiten, da Löfven für die Amtsausübung auf diese Parteien angewiesen ist. Ziel des neuen Parteienbündnisses war es auch, die rechtspopulistischen Schwedendemokraten aus der Regierung auszuschließen, die bei der vergangenen Wahl erhebliche Zugewinne vermelden konnten. Die teils sehr verschiedenen politischen Ziele der Parteien dürften die Regierungsarbeit von Löfven in den nächsten Jahren erschweren. Im Wahlkampf waren besonders die Themen Kriminalität und Migration von besonderer Bedeutung. Ansonsten gehört Schweden in den meisten Kategorien eines funktionierenden Staats zur weltweiten Spitze, sei es in erneuerbaren Energien, Geschlechtergleichheit, Minderheitenrechten, Recyclingrate, Korruptionsindex oder bezahlter Elternzeit. In den vergangenen Jahren hatte aber sogar das erfolgsverwöhnte Schweden einige Probleme, die Integration von Zuwanderern erfolgreich zu gestalten. Besonders das Bildungsniveau zwischen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und jenen mit Migrationshintergrund klafft zunehmend weiter auseinander, was die soziale Ungleichheit in den nächsten Jahren noch verschärfen könnte. Zuletzt äußerten in einer Umfrage im vergangenen Jahr 50 Prozent der Schweden, dass sie glaubten, das Land entwickle sich in die falsche Richtung. Insgesamt ist Schweden natürlich weiterhin ein Beispiel für einen erfolgreichen Sozialstaat. Allerdings haben die vergangenen Jahre eine zunehmende Spaltung der schwedischen Gesellschaft offenbart.
Die schwedische Bevölkerung hatte in einem Referendum 2003 die Einführung des Euros abgelehnt. Dennoch stehen viele Schweden der EU positiv gegenüber. In der Vergangenheit hat sich Schweden für die EU-Erweiterung um Mittel- und Osteuropa und das Baltikum eingesetzt. Auch einen Beitritt der Türkei hat die schwedische Regierung für lange Zeit befürwortet. Haben die Schwedendemokraten bei der Europawahl 2014 noch einen Austritt aus der EU gefordert, wurde im Wahlkampf für diese Europawahl diese Haltung abgelegt. Dennoch gehören sie zum Lager der extrem EU-kritischen Parteien Europas. Wirtschaftlich gehört das Land zu den erfolgreichsten Staaten in der EU, auch wenn die Wirtschaft im vergangenen Jahr hinter den Erwartungen zurückblieb. Die schwedische Wirtschaft gilt als Vorreiter in Sachen Innovation und hat die weltweit höchste Rate an angemeldeten Patenten pro Einwohner. Interessanterweise gehört Schweden, als größter Spender von Hilfsmitteln, zu den engsten diplomatischen Kontakten von Nordkorea, auch wenn die nordkoreanische Führung sich bis heute weigert, eine Lieferung über 1000 Volvos von 1974 zu bezahlen, was zuweilen als der „größte Autoraub der Geschichte“ bezeichnet wurde.
Slowakei
Wenn man in Wien in den kürzesten internationalen Linienflug der Welt steigt, landet man nach ca. 10 Minuten Flugzeit im slowakischen Pressburg (Bratislava). Seit 2018 regiert Peter Pellegrini von der linkspopulistischen und sozialdemokratischen Smer-SD Partei als Ministerpräsident der Slowakei. Sein Vorgänger Robert Fico, der von 2006 bis 2010 und dann erneut von 2012 bis 2016 Ministerpräsident war, trat im Februar des vergangenen Jahres im Zuge einer Regierungskrise von seinem Posten zurück. Auslöser der Regierungskrise, bei der auch der Innenminister und der Polizeichef zurücktreten mussten, war der erwiesene Auftragsmord der Mafia am Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten. Dieser hatte in seinen Recherchen Korruption, Veruntreuung von EU-Geldern, Machenschaften der italienischen Mafia in der Slowakei und deren Verbindungen in höchste Regierungskreise aufgedeckt. Daraufhin demonstrierten bis zu 65.000 Menschen in der Hauptstadt bei der größten Demonstration seit der Samtenen Revolution gegen Korruption und für eine Untersuchung des Mordes an Kuciak. Viele Slowaken haben das Gefühl, dass gewisse staatliche Regelungen für eine kleine Gruppe Oligarchen nicht gelten. Insgesamt ist die slowakische Politik seit der Nationalratswahl 2016 von einem Rechtsruck gekennzeichnet, bei dem besonders rechtspopulistische Parteien Zugewinne verzeichnen konnten.
Die Samtene Revolution bezeichnet den gewaltfreien politischen Systemwechsel in der Tschechoslowakei zur Demokratie im Jahre 1989.
Die Slowakei positionierte sich seit Beginn der Flüchtlingskrise in Europa ab 2015 als scharfer Gegner der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Flüchtlingsquoten. Es gibt Strömungen innerhalb des Landes, die der EU besonders kritisch gegenüberstehen; so sind sämtliche Parteien in der Slowakei mehr oder weniger EU-skeptisch, wobei die nationalistische L´SNS sogar einen Austritt aus der EU fordert. Innerhalb der Visegrád-Gruppe gehören die Slowaken als einziges Mitglied der Eurozone aber zu den gemäßigten Kräften. Der ehemalige Ministerpräsident Fico befürwortete zwar eine EU-Reform, beschrieb die Mitgliedschaft der Slowakei seit 2004 allerdings als Erfolgsgeschichte und bezeichnete die EU für die Slowakei als “unersetzbar”. Dass 2014 gerade einmal 13 Prozent der Slowaken in der Europawahl zur Wahlurne gingen, deutet darauf hin, dass sich die Slowaken sich nicht so recht für die Europapolitik begeistern lassen.
Slowenien
Die ehemalige Jugoslawische Republik Slowenien bildet die nördliche Grenze des Balkans. Im Nordwesten grenzt das Land an Österreich und Italien und im Südosten an Kroatien und Ungarn. Durch diese zentrale Lage kommt dem Land eine besonders wichtige Rolle in der Beziehung zwischen Ost und West zu. Sowohl die Zeit als Teil von Österreich-Ungarn als auch als sozialistische Republik prägen es bis heute. Das erkennt man auch an der politischen Situation. Wie auch in anderen Staaten im Osten der EU wurde eine rechtspopulistische Partei, die SDS, letztes Jahr zur größten Partei gewählt. Die Partei wird von Janez Jansa geleitet, der schon zweimal Premierminister des kleinen Landes war. Hatte er vor 2018 noch als marktliberaler Wahlkampf betrieben, änderte er und seine Partei, inspiriert von Ungarns Premierminister Orban, die Strategie. Slowenien war 2015 zu einem der Haupttransitländer von Migranten geworden. Über eine halbe Million Menschen durchquerten das Land auf ihrem Weg nach Nordeuropa. Jansa schürte die Angst, dass falls es zu einer weiteren Welle von Migranten kommen sollte und die Nordeuropäischen Staaten ihre Grenzen schließen würden, Slowenien die Hauptlast der Migration tragen würde. Aber obwohl die SDS die größte Partei im Land ist, wurde Jansa der Weg an die Regierungsspitze durch eine brüchige Koalition von den mitte-links Parteien geblockt. Dieses Bündnis aus fünf Parteien, welche zum Teil weniger als fünf Prozent der Stimmen erhielten, ist auch ein Zeichen der noch immer nicht aufgearbeiteten Vergangenheit Sloweniens. So herrscht noch immer eine Debatte über die wiederkehrende Macht der Kirche, und auch der Kommunismus ist noch nicht abschließend bewertet. Somit gibt es noch immer keinen gemeinsamen Grundkonsens über die Werte und Geschichte der slowenischen Gesellschaft.
Als das Land 2007 Mitglied der EU wurde, hatte es schon ein stattliches Wirtschaftswachstum hinter sich. Hatte es 1995, vier Jahre nach der Unabhängigkeit, noch einen mageres Bruttoinlandsprodukt von 15.062 US-Dollar pro Kopf, so verdoppelte sich diese Zahl nahezu bis 2018. Diese beispiellose wirtschaftliche Entwicklung macht das Land zu einem der reichsten der ehemaligen Ostblockstaaten, sogar noch vor Polen, Ungarn und Estland. Die wirtschaftliche Entwicklung wird seit dem EU-Beitritt durch die Strukturfonds unterstützt und schon Ende 2007 konnte es den Euro einführen. Wie in allen Staaten auf dem Balkan gibt es noch immer kleinere Streitereien mit seinen Nachbarstaaten, die sich oft auf die ethnische, religiöse und kulturelle Diversität der Region zurückführen lassen. Aber im Vergleich zu Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegowina konnte sich Slowenien recht schnell vom Niedergang des Sozialismus erholen und zu relativem Wohlstand gelangen, das auch an seiner frühen Unabhängigkeit von Jugoslawien liegt. Dadurch ist das Land von vielen der Schrecken und Schäden des Jugoslawienkrieges verschont geblieben.
Spanien
Spanien war in den vergangenen Jahren regelmäßig in den Nachrichten. Das lag vor allem an der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der Region Katalonien rund um Barcelona Ende 2017. Der damalige Ministerpräsident der Region Puigdemont hatte zuvor ein Referendum ausgerufen, in dem 90 Prozent der Katalanen für die Unabhängigkeit stimmten. Die Wahlbeteiligung lag jedoch nur bei 42,5 Prozent, was unter anderem an einem massiven Polizeiaufgebot und generell chaotischen Umständen lag. Der Polizeieinsatz wurde von der spanischen Regierung angeordnet, die das Referendum schon im Vorfeld für unrechtmäßig erklärte und daraufhin versuchte, das Referendum zu unterbinden. Schlussendlich scheiterte die Unabhängigkeit, woraufhin Puigdemont nach Belgien floh, um einer Strafverfolgung in Spanien zu entkommen. Die, die nicht flohen, wurden festgenommen und der Aufrührerei angeklagt. Diese Prozesse führten aber auch in der Hauptstadt Madrid zu politischen Machtkämpfen. Der erst im Juli 2018 durch ein Misstrauensvotum gegen seinen Vorgänger gewählte Pedro Sanchez von der sozialdemokratischen PSOE kündigte für Ende April Neuwahlen an, die er gewann. Die neue rechtspopulistische Partei Vox schaffte ebenfalls den Einzug ins Parlament. Es bahnt sich eine schwierige Koalitionsbildung an.
Das Land ist seit 1977, also schon kurz nach Ende der Franco-Diktatur, Mitglied der Europäischen Union und schwankt seitdem zwischen der Peripherie und dem Status als Anführer der südlichen Mitgliedstaaten. Die drei größten Parteien sind allesamt proeuropäisch und mehr als 50 Prozent der Bewohner fühlen sich der EU verbunden. Doch das war nicht immer so. So wütete die Eurokrise in Spanien ganz besonders und dem Land wurden Jahre der Sparpolitik von der EU auferlegt. Die Arbeitslosenquote lag bei bis zu 26 Prozent und gerade die junge Bevölkerung leidet noch immer unter fehlenden Karriereoptionen. Zuletzt ging es allerdings aufwärts. Das Wirtschaftswachstum liegt bei 3 Prozent und die Austeritätsmaßnahmen werden kontinuierlich gesenkt, da sich die Staatsverschuldung Spaniens stabilisiert hat. Der wirtschaftliche Aufstieg Spaniens wird von Beobachtern auch mit einer Rückkehr auf die große Bühne der EU Politik verbunden, wo es einigen Beobachtern zufolge aufgrund seiner strategischen Lage nahe Nordafrika und seinen guten Beziehungen nach Südamerika eine wichtige Rolle in der europäischen Migrations- und Außenpolitik einnehmen wird.
Tschechien
Seit der friedlichen Auflösung der Tschechoslowakei im Jahre 1993 gehört Tschechien, genauso wie die Slowakei, zu den jüngsten Ländern der Welt. 2011 wurde die populistische ANO-Bewegung vom slowakischen Multimilliardär Andrej Babiš gegründet und 2012 in eine Partei umgewandelt. Fünf Jahre später konnte Babiš mit der Partei knapp 30 Prozent der Stimmen in der tschechischen Abgeordnetenwahl für sich gewinnen, wobei ANO beinahe 20 Prozent Vorsprung auf die zweitplatzierte liberal-konservative ODS hatte. Bei der Wahl erreichten insgesamt neun Parteien die Fünfprozenthürde, wodurch das Parlament sehr zersplittert ist. Nach langen Koalitionsverhandlungen bildete Babiš einige Monate nach der Wahl eine Minderheitsregierung mit der sozialdemokratischen ČSSD, wobei die Regierung auf Tolerierung durch die kommunistische KSČM angewiesen ist. Im November vergangenen Jahres überstand Babiš ein Misstrauensvotum im Parlament, nachdem Vorwürfe laut geworden waren. Babiš wurde beschuldigt, EU-Subventionen für seine Firma Agrofert verwendet zu haben, um ein Landhotel in der Nähe von Prag zu bauen. Sogar Babiš eigener Sohn beschuldigte seinen Vater der Korruption, wurde aber in der Folge von Babiš als schizophren bezeichnet und verschwand auf mysteriöse Weise auf der Krim, sodass er im Prozess nicht aussagen konnte. Babiš’ Sohn hatte jedoch zuvor in psychologischen Tests im Zuge seiner Pilotenausbildung niemals Anzeichen einer psychischen Krankheit gezeigt. In Folge des überstandenen Votums protestierten mehrere tausend Tschechen wochenlang in Prag gegen Korruption und Nepotismus im Land.
Nepotismus bezeichnet eine Bevorteilung von Familienangehörigen bei der Besetzung von politischen oder wirtschaftlichen Posten, auch Vetternwirtschaft genannt.
Seit dem Beitritt in die EU ist Tschechiens Wirtschaft stetig näher an das Niveau der EU-28 gewachsen. Dennoch stehen viele Tschechen der Europäischen Union kritisch gegenüber. Verdeutlicht wird diese Einstellung anhand der Personalie des Staatspräsidenten Miloš Zeman, der den Präsidentenwahlkampf knapp mit 51,4 Prozent gegen seinen Herausforderer Jiří Drahoš mit 48,6 Prozent gewinnen konnte. Die Rolle des Präsidenten ist in Tschechien zwar größtenteils repräsentativ, allerdings ist Zeman als Präsident sehr präsent in den Medien und hat in seinem Wahlkampf besonders muslimische Immigration nach Europa und die vorgeschlagenen EU-Verteilungsquoten für Flüchtlinge kritisiert. Andrej Babiš widerspricht zwar vehement den EU-Verteilungsquoten, einem Eurobeitritt Tschechiens und einer tieferen Integration der EU, allerdings ist seine Beziehung zur EU eher pragmatisch und seine Politik nicht klassisch nationalistisch, da er selber kein Tscheche ist. Zuletzt zeichnete Babiš sich durch einen besonders freundschaftlichen Kurs gegenüber dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump aus, den er nach einem Treffen in Washington in den höchsten Tönen lobte. Die beiden Politiker betonten bei einem Treffen ihre gemeinsamen Ansichten zum Thema Verteidigung und Migration. Tschechien ist innerhalb der EU ein Teil der Visegrád Staaten.
Ungarn
Viktor Orban ist kurz vor der Europawahl wieder mal in aller Munde. Der rechtspopulistische Ministerpräsident von Ungarn ist bekannt für die Errichtung einer „illiberalen Demokratie“ (eine Wortschöpfung Orbans), regelmäßige antisemitische Untertöne besonders über den jüdischen Finanzinvestor George Soros, und seine Konflikte mit der EU. Orban, der aktuell über eine zwei Drittel Mehrheit im Parlament verfügt (mit der er Verfassungsänderungen vornehmen kann), ist nun in seiner dritten Amtszeit und hat in seiner Zeit an der Spitze der Regierung den Staat in vielen Bereichen umgestaltet. 2011 nutzte Orban seine Mehrheit, um die Judikative zu schwächen, den Einfluss der Regierung auf die Medien zu erhöhen und die historische Rolle Ungarns zu verherrlichen. Das wurde vor allem im europäischen Ausland scharf kritisiert. Seit der Verfassungsänderung führt Orban seine autoritär gestalte Politik fort und beschränkt zunehmend Bürgerrechte. So mussten Universitäten schließen und neue Anti-Terror-Gesetze, die die Überwachung von Bürgern ohne jegliche Beweise erlauben sollten, wurden verabschiedet. Letztere wurden jedoch in letzter Instanz vom Europäischen Gerichtshof gestoppt.
Die zweitgrößte Partei im Parlament ist die ehemals rechtsradikale Jobbik, welche durch antisemitische Äußerungen auffiel. In den letzten Jahren ist die Anzahl an judenfeindlichen Übergriffen stark gestiegen und auch die Partei Orbans stand mehrfach in dieser Hinsicht in der Kritik. So wurde im Wahlkampf und der politischen Debatte mehrfach der ungarisch-stämmige, jüdische Milliardär George Soros als Strippenzieher hinter der Flüchtlingskrise genannt; eine Theorie, die vor allem von Rechtsradikalen verbreitet wird. Dies könnte Teil einer „Dog Whistle“-Strategie seien, mit welcher man durch Andeutungen auch radikale Wähler ansprechen möchte. Andererseits hat Orbans Regierung die Mitverantwortung Ungarns am Holocaust akzeptiert und um Vergebung gebeten. Und auch wirtschaftlich geht es dem Land seit der Amtseinführung Orbans besser.
Viktor Orban wird oft als Antagonist der Europäischen Kommission verstanden. Seine Regierung griff Brüssel mehrfach in Wahlkampfreden und auf Plakaten an. Zuletzt gerat Kommissionschef Juncker in Orbans Visier. Dieser solle die Migration nach Europa gemeinsam mit Soros fördern und müsse gestoppt werden. Orban wurde von der eigenen konservativen Fraktion im Europaparlament, EVP, scharf kritisiert und im März 2019 sogar von seiner Partei suspendiert. Ungarn reagierte aber auch schon während der Flüchtlingskrise mit dem Bau eines Grenzzauns nach Serbien, wodurch die Migrantenströme nach Slowenien umgeleitet wurden. Viele Politiker in Westeuropa kritisierten insbesondere die Verlängerung des Zaunes entlang der kroatischen und rumänischen Grenze. Aber auch der autoritäre Stil Orbans wird immer wieder von der EU kritisiert. Die EU eröffnete 2018 ein EU-Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 gegen das Land. Ungarn wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach keine Sanktionen am Ende des Verfahrens befürchten müssen. Das liegt vor allem an seinen Verbündeten innerhalb der EU, den Visegrád-Staaten. Dieses informelle Bündnis aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn tritt in vielen EU-Fragen gemeinsam auf. Die Staaten sind in der Lage, sich gegenseitig vor Sanktionen zu schützen, da diese einstimmig innerhalb der EU verabschiedet werden müssten. Ein Austritt Ungarns aus der EU steht aber zur Zeit außer Streit.
Zypern
In der griechischen Mythologie gilt Zypern als Spielplatz der Götter und Geburtsort der Liebesgöttin Aphrodite. Die Republik umfasst völkerrechtlich die gesamte Insel, obwohl der Norden seit 1974 von türkischen Truppen kontrolliert wird und im Jahre 1983 die Türkische Republik Nordzypern ausgerufen wurde. Diese wird jedoch völkerrechtlich nur von der Türkei anerkannt. Die in der Verfassung vorgesehene Mitwirkung der Zyperntürken in den staatlichen Institutionen, wie z. B. im Parlament, findet nicht statt und Zypern ist de facto zur Hälfte Mitglied der EU. Es gab in der Vergangenheit mehrere Annäherungsversuche zwischen den beiden Teilen der Insel, wobei der Annan-Plan im Jahre 2004 besonders hervorzuheben ist. Dieser sah einen Zusammenschluss beider Teile nach dem Vorbild eines Staatenbundes vor, wurde allerdings bei hoher Wahlbeteiligung von den Zyperngriechen mit 76 Prozent der Stimmen abgelehnt, wobei die Zyperntürken mehrheitlich für den Plan stimmten. Ende Februar 2019 kam es zum ersten Mal seit ergebnislosen Gesprächen 2017 zu einer informellen Zusammenkunft zwischen dem Präsidenten der Republik Zypern, Nikos Anastasiadis, und dem Präsidenten der Türkischen Republik Nordzypern, Mustafa Akıncı, um eine eventuelle Wiederaufnahme der Gespräche vorzubereiten. Die Republik Zypern wird seit 2013 vom konservativen Präsidenten Nikos Anastasiadis in seiner zweiten Amtszeit regiert.
2011 wurden bei einem Gutachten bedeutende Erdgasvorkommen vor der südlichen und östlichen Küste Zyperns entdeckt. Die Vorkommen liegen zu kleinem Teil auch in türkischem Hoheitsgebiet. Im Februar 2018 drohte der türkische Staatspräsident, Recep Tayyip Erdoğan, deswegen mit militärischer Gewalt, falls Unternehmen mit der Lizenz der Republik Zypern mit Bohrungen beginnen würden. Kurz darauf verhinderten türkische Kriegsschiffe den Beginn von Probebohrungen, woraufhin sich alle NATO-Staaten (mit Ausnahme der Türkei) mit Zypern solidarisierten. Die Türkei erklärte ein Jahr später allerdings, selbst in den umstrittenen Gewässern mit Bohrungen zu beginnen. Zypern ist aufgrund seiner lädierten Wirtschaft und der hohen Verschuldung auf die Einnahmen durch den Gasexport angewiesen. Die EU drohte der Türkei anfang Mai 2019 im Falle von Gasbohrungen “auf jede illegale Tat, die die Rechte Zyperns verletzt, angemessen zu reagieren”.
Wenn man auf eine Weltkarte schaut, erscheint eine EU-Mitgliedschaft Zyperns auf den ersten Blick etwas abwegig. Zypern liegt exponiert im Mittelmeer, südlich der Türkei und westlich von Syrien und dem Libanon. Dabei liegt Zypern geographisch z. B. näher an Afghanistan (ca. 2600 km) als an Brüssel (ca. 2.900 km), was eventuell dazu beitragen könnte, dass 52 Prozent der Zyprioten der EU nicht vertrauen und 74 Prozent glauben, dass die EU sich nicht für ihre Belange einsetzen würde. Zudem wurde Zypern besonders hart von der Wirtschaftskrise getroffen, da der Bankensektor relativ zur wirtschaftlichen Leistung der Republik auf eine enorme Größe angewachsen war. Das führte 2012 beinahe zum Staatsbankrott, der jedoch mithilfe einer Aufnahme in den Euro-Rettungsschirm abgewendet werden konnte. Als Teil der Bankenrettung wurden der Republik von der EU strikte Sparmaßnahmen auferlegt, die unter anderem eine erhebliche Besteuerung von zehn Prozent auf Ersparnisse von über 100.000 Euro und ca. sieben Prozent auf Bankkonten unter diesem Betrag beinhalteten. Diese Maßnahme war bei der Bevölkerung der Republik Zypern extrem unbeliebt und führte zu einer Ablehnung der Europäischen Union. Die Wirtschaft hat sich seitdem zwar erholt und wuchs in den vergangenen Jahren um bis zu vier Prozent pro Jahr. Auch Zypern wurde mehrfach von der EU für das Angebot von Staatsbürgerschaften und EU-Pässen als Gegenleistung für Investitionen ohne ausreichende Kontrollen kritisiert. Die zypriotische Regierung um Nikos Anastasiadis bemüht sich momentan vermehrt, die Bevölkerung trotz der Unzufriedenheit mit der EU für die Europawahl im Mai zu mobilisieren.