Armut, Löwe, Hitze
– Chance?

VON CAMILLA MAGIS

Was geht uns Europäer Afrika an? Mehr als du denkst! Warum wir in Zukunft mehr mit Afrika verbinden werden als ein schlechtes Gewissen und Entwicklungspolitik für Europa alles entscheidend ist.

„Beschreibe Afrika in drei Worten!“…

…forderte ich kürzlich meine Freunde auf. Sie dachten sofort an „Armut, Löwe, Hitze“, „Regenwald, Hungersnot, Gewalt“ oder, mit aller Härte, „ab nach Norden“. Diese Bilder spiegeln wider, wie negativ und eindimensional die meisten Europäer auf den zweitgrößten Kontinent der Welt blicken.

Natürlich bestreitet niemand, dass eine bunte Tierwelt, extremes Klima, Armut, Gewalt und Korruption Teile Afrikas sind. Langsam ist es aber höchste Zeit für Europa, den Blick von Afrikas Schwierigkeiten auf seine großen Potenziale zu lenken. Soll die Weiterentwicklung Afrikas allerdings im Sinne Europas geschehen, muss Europa sich trauen, Entwicklungshilfe neu zu denken. Statt des einseitigen Gebens und Nehmens muss Entwicklungshilfe zur Kooperation zwischen Ebenbürtigen werden – eine Entwicklungszusammenarbeit also. So und nur so können diese beiden historisch eng verbundenen Kontinente ihren zukünftigen Wohlstand sicherstellen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellte beim EU-Afrika Forum in Wien vergangenes Jahr fest: „Die Zukunft Afrikas ist auch unsere Zukunft.” Denkt man das zu Ende, so heißt das: Die Probleme Afrikas sind auch unsere Probleme. Und Problempotential gibt es jede Menge. Laut Prognosen wird Afrikas Bevölkerung bis 2050 auf 2,5 Milliarden Menschen ansteigen. Werden bis dahin nicht genügend Arbeitsplätze vor Ort geschaffen, wird Europa einen größeren Andrang an Migration denn je erleben. Derartige Herausforderungen machen Afrikapolitik so spannend und relevant. Angetrieben wird die EU dabei von drei entscheidenden Motoren: der langfristigen Festigung politischer Macht auf der Weltbühne, der Sicherung von Wohlstand in Europa und letztlich einer moralisch-historischen Verantwortung gegenüber dem afrikanischen Kontinent.

Entwicklungshilfe – Egoismus oder Altruismus?

Seit dem Ende des Kalten Krieges, aber besonders nach der Jahrtausendwende hat sich ein Wandel der weltweiten Verteilung politischer Macht abgezeichnet. Nicht mehr die USA und die Sowjetunion allein bestimmen das Geschehen auf der Weltbühne, sondern eine Vielzahl von Staaten mit boomender Wirtschaft regieren durch multilaterale Beziehungen. Um sich in dieser neuen, sogenannten multipolaren Weltordnung zu behaupten, muss die EU Präsenz in Afrika zeigen.

„Multilateral“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „mehrseitig“. Das Wort beschreibt Kooperationen und Abkommen in Politik und Wirtschaft, die mindestens drei Staaten involvieren.

Schwellenländer wie die BRICS-Staaten, allen voran China, haben die strategische Wichtigkeit und das Entwicklungspotenzial des zweitgrößten Kontinents der Welt bereits erfasst und investieren hohe Summen in die Entwicklung Afrikas.

BRIC ist eine Abkürzung für Brasilien, Russland, Indien und China, eingeführt 2001 durch den damaligen Vorsitzenden von Goldman Sachs Jim O‘Neill für Staaten mit rasant wachsender Wirtschaftskraft. Später wurde sie mit Südafrika auf BRICS erweitert.

Die Volksrepublik China strebt danach, die dominante transatlantische Handelsachse Europa-USA durch die neue Verbindung Südchina-Ostafrika zu ersetzen. Chinas Machthaber Xi Jinping wittert durch diese sogenannte „Süd-Süd-Kooperation“ wirtschaftliche Chancen. Schließlich plant er, China bis zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2049 zur weltweit größten Industrienation zu machen. Der umstrittene Bau der Neuen Seidenstraße ist genauso Teil dieser Bestrebungen wie geplante Investitionen von 60 Milliarden Dollar auf dem afrikanischen Kontinent. Schließlich könnte eine afrikanische Mittelschicht zum boomenden Absatzmarkt für billige, chinesische Produkte werden.

Die „Neue Seidenstraße“, auch „One Belt, One Road Initiative“ genannt, ist ein Projekt der Volksrepublik China, das den Aufbau von Handels- und Infrastrukturnetzen zwischen über 60 Ländern in Afrika, Asien und Europa zum Ziel hat. Schätzungen zufolge soll sie 60 Prozent der Weltbevölkerung und 35 Prozent der Weltwirtschaft betreffen. Besonders die EU und die USA werfen China mangelnde Transparenz, unfairen Wettbewerb und aggressives Machtstreben vor. Der Name des Projekts spielt auf den bereits in der Antike genutzten Handelskorridor namens Seidenstraße an, der schon damals den Handel von Wolle, Gold, Silber und Seide über Kontinentalgrenzen hinweg ermöglichte, aber auch die Grundlage für die Diffusion von Religionen, Ideen, Kulturen (und nicht zuletzt Epidemien wie der Pest) bildete.

Durch die Gewährung von zinsfreien Krediten an afrikanische Staaten, aber auch durch Schuldenerlässe und Subventionen, soll afrikanischen Ländern geholfen werden, sich wirtschaftlich zu entwickeln. Zu diesem Zweck stellt die Volksrepublik auch mehr Geld für humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe bereit. Im Unterschied zu Europa inszeniert sich China mit seiner Entwicklungshilfe keineswegs als gutwilliger Geber, sondern versteckt seine eigenen Interessen nicht. Indem es Afrika als ebenbürtiger Geschäftspartner begegnet, verschafft sich China Zugang zu wichtigen Exportgütern wie Rohstoffen und Erdöl.

Subventionen sind finanzielle Zuschüsse eines Staates zur Unterstützung bestimmter Wirtschaftszweige oder einzelner Unternehmen.

Ein Beispiel für typische chinesische Entwicklungshilfe ist in der Hauptstadt Kameruns, Yaoundé, zu finden. Sie wurde von einem deutschen Offizier und Wissenschaftler gegründet, später von Belgien besetzt und stand schließlich jahrzehntelang unter französischem Mandat – hat also eine lange Beziehung mit Europa, um es einmal gelinde auszudrücken. In Yaoundé sind die öffentlichen Straßen trotz des zunehmenden Straßenverkehrs in sehr schlechtem Zustand, in einigen Stadtvierteln nicht einmal geteert. Trotz der europäischen Vergangenheit wurde nun eine chinesische Firma, die China Communication and Construction Company (CCCC), von der kamerunischen Regierung beauftragt, im Rahmen eines aufwendigen und kostspieligen Projekts eine dreispurige Autobahn vom Stadtzentrum zum Flughafen zu bauen. Und die chinesischen Neuankömmlinge scheuen keinen Fleiß: In ehemals von Frankreich kolonialisierten Ländern lernen die Investoren nicht die „Kolonialsprache” Französisch, sondern afrikanische Sprachen.

Aus der Sicht Europas ist es problematisch, dass China afrikanische Staaten durch seine Entwicklungshilfe in wirtschaftliche Abhängigkeit führt. Diese Staaten drohen nämlich zu politischen Marionetten Chinas zu werden. In einer chinesisch dominierten Weltordnung wären europäische Werte, Grundfreiheiten und Bürgerrechte basierend auf der allgemeinen Menschenwürde jedoch bestenfalls zweitrangig. Um eine zukünftige Weltordnung nach europäischen Vorstellungen zu garantieren, muss sich Europa globale Macht und Handlungsfähigkeit sichern – besonders in Afrika, dem Kontinent der Zukunft. Doch um das zu erreichen, muss Europa von China lernen, vom Geber zum Partner zu werden. Auch Europa muss Entwicklungshilfe zur Entwicklungskooperation machen.

Warum Europa Afrika braucht

Was Afrika braucht, ist politische Stabilität, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, um etwaigen Fluchtursachen vorzubeugen und ein Chaos, wie es der Andrang Geflüchteter 2015 ausgelöst hat, zu verhindern. Durch gezielte Zuwanderung könnte Afrika sogar eine Chance für Europa sein, seinem industrieübergreifenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Ein Fachkräftemangel besteht, wenn eine Wirtschaft darunter leidet, dass aufgrund eines Mangels an qualifizierten Arbeitnehmern viele Arbeitsplätze nicht besetzt werden können. In Deutschland sind zum Beispiel die IT-Branche, der MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), die Handwerksbranche, die Pflege oder die Gastronomie betroffen. So blieben 2018 knapp 184.000 Stellen unbesetzt.

Afrika ist viel ressourcenreicher als Europa, was Europa schon in der Kolonialzeit dazu veranlasste, sich an afrikanischen Ressourcen zu bereichern. Europas Bodenschätze sind mittlerweile so gut wie aufgebraucht, was zukünftig zu mehr Abhängigkeit von Afrika führen könnte. Das darf allerdings nicht erneut zu kolonialistischer Ausbeutung führen, sondern muss die Grundlage für faire Handelsabkommen bieten, die das Wohl und den Fortschritt beider Kontinente gleichermaßen begünstigen. Gleiches gilt für die Landwirtschaft. Potenzielles Ackerland ist in Europa rar geworden, seitdem mehr und mehr Flächen für Wohnungsbau und Infrastruktur gebraucht werden. Afrika hingegen besitzt über 50 Prozent des weltweit unbebauten, fruchtbaren Ackerlandes. Europa könnte stark davon profitieren, aufgrund heute geschaffener Abkommen und Investitionen zukünftig Lebensmittel aus Afrika importieren zu können. Wichtig ist dabei, dass darauf geachtet wird, afrikanische Arbeiter nicht auszubeuten und so Armut zu befördern statt zu bekämpfen. Ein fairer, nachhaltiger Handel mit dem afrikanischen Kontinent ist sowohl eine große Chance für den zukünftigen Wohlstand in Europa als auch für den wirtschaftlichen Aufschwung in Afrika.

Europäisch-afrikanische Geschichte – Warum Entwicklungszusammenarbeit?

Das Engagement der EU in Afrika ergibt sich letztendlich aber nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Interessen. Vielmehr besitzen die beiden Kontinente enge historische und kulturelle Verknüpfungen. Viele sehen Europa in einer moralischen Verpflichtung, sich entwicklungspolitisch zu engagieren. Nicht umsonst spricht EU-Kommissionspräsident Juncker von einer afrikanisch-europäischen „Schicksalsgemeinschaft“. Diese findet ihren Ursprung 1492, im Jahr der Entdeckung Amerikas. Seitdem handelten europäische Kolonialmächte beinahe 400 Jahre lang mit Millionen von afrikanischen Sklaven, die sie mit hohen Gewinnen auf Plantagen in Brasilien, in der Karibik und in den Südstaaten der USA verkauften. Der dadurch entstandene atlantischen Dreieckshandel beförderte die europäische Industrialisierung im 18. Jahrhundert wesentlich.

Der atlantische Dreieckshandel ist ein Begriff für den über den Atlantischen Ozean im Dreieck betriebenen Warenhandel zwischen Europa, Afrika und Amerika. Von Europa aus fuhren mit Manufakturwaren und Textilien beladene Schiffe nach Afrika, wo die Ware gegen Sklaven eingetauscht wurde. Unter unwürdigsten Bedingungen wurden diese Menschen anschließend nach Amerika in die europäischen Kolonien transportiert. Dort wurden die Sklaven verkauft und vom Erlös landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Zucker, Kaffee oder Baumwolle billig erworben. Diese konnten schlussendlich in Europa gewinnbringend verkauft werden.

Spuren im heutigen Afrika hat aber besonders der direkte Imperialismus europäischer Staaten ab 1880 hinterlassen. In der vom deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck geleiteten Berliner Konferenz 1884/85 teilten sich die Vertreter europäischer Staaten Afrika untereinander auf.

(von lat. imperare „herrschen, befehlen“) Bestreben einer Großmacht, ihren politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflussbereich weiter auszudehnen. Das führte in der Vergangenheit zur grausamen Unterwerfung von Völkern und Staaten, üblicherweise gefolgt von der Ausbeutung der Gebiete und der Erniedrigung der Unterworfenen. Der Kolonialismus europäischer Staaten in Afrika war Teil des Hochimperialismus von 1880 bis 1914. Er war Machtstreben und Rivalitäten, aber auch ideologisch-missionarischem Denken, geschuldet. Die sich kulturell überlegen fühlenden Europäer wollten den Afrikanern „die Zivilisation” bringen.

Im dadurch ausgelösten „Wettlauf um Afrika“ konkurrierten die Kolonialmächte um die Eroberung eines Kontinents, der billige Arbeitskräfte und seltene Ressourcen bot. Für die rivalisierenden europäischen Staaten war Afrika außerdem von großer strategischer Bedeutung, da Kolonien nicht nur internationales Ansehen und Macht mit sich brachten, sondern auch den Zugang zu wichtigen Handelsknotenpunkten sicherten.

Für Afrika begann eine extreme Zeit der Fremdbestimmung, Gewalt und Ausbeutung. Noch heute sind in Afrika die Auswirkungen der Kolonialherrschaft zu spüren, die tief im kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung verankert sind. Die Unabhängigkeit vieler afrikanischer Staaten liegt gerade einmal rund 60 Jahre zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg stießen afrikanische Befreiungsbewegungen auf vom Krieg wirtschaftlich geschwächte Kolonialmächte. Für die europäischen Staaten wurden die Kolonien einfach zu teuer. Unter zusätzlichem internationalen Druck in den 1960er Jahren gewannen viele afrikanische Staaten die Unabhängigkeit von England, Frankreich, Belgien, Italien und anderen Kolonialmächten.

Das brachte für die jungen Staaten aber auch politische und wirtschaftliche Probleme mit sich. Von Europäern willkürlich gezogene Staatsgrenzen vereinten oft unterschiedlichste Stämme und Völker in einem Staat, was bis heute zu politischer Instabilität und ethnischen Konflikten führt. Weiterhin problematisch ist, dass auch nach der Dekolonisation viele ehemalige Kolonien ihre Rohstoffe nur exportieren, statt sie zu verarbeiten. So sind sie nicht nur direkt vom Import von Drittstaaten abhängig geblieben, sondern sind bisher auch daran gescheitert, eine von Weltmarktpreisen unabhängige Wirtschaft aufzubauen.

Auch psychologisch hat die Kolonialzeit Spuren hinterlassen: Bei vielen Afrikanern zeigt sich ein tiefer Mangel an Selbstbewusstsein und Selbstachtung und eine gewisse Entfremdung von der eigenen Kultur. Der Westen wird oft als besser wahrgenommen – egal, ob es um Kleidung, Fernsehen, Technik oder Kultur geht. Bildlich gesagt: In Afrika fühlt man sich, als wäre man gezwungen, sich in der globalen Warteschlange hinten anzustellen. Europa trägt eine große Verantwortung für die heutigen europäisch-afrikanischen Ungleichheiten, die zu großen Teilen aus der langen gemeinsamen Geschichte entstanden sind.

Besonders in Frankreich führen all diese Konflikte immer wieder zu Debatten. Ein gutes Beispiel ist die auferstandene Restitutionsdebatte: Sollen europäische Museen Kunstwerke aus der Kolonialzeit an ihre Heimatländer zurückgeben? Während sich viele Wissenschaftler mit ausgearbeiteten Argumenten dafür aussprechen, ist die breite Mehrheit der Europäer dagegen.

Europäische Entwicklungshilfe in Afrika

Doch was hat die EU eigentlich bisher für die europäisch-afrikanische Partnerschaft geleistet? Tatsächlich ist die EU zusammen mit ihren Mitgliedstaaten der weltweit größte Geldgeber für öffentliche Entwicklungshilfe. 2017 stellte sie zum Beispiel insgesamt 75,7 Milliarden Euro bereit – mehr als doppelt so viel wie die USA, Kanada und Japan zusammen. Davon gingen rund 40 Prozent an die AKP-Staaten. Diese Summen werden größtenteils von der Europäischen Investitionsbank und dem Europäischen Entwicklungsfonds bereitgestellt.

Die AKP-Staaten umfassen 79 Länder in Afrika, der Karibik und dem Pazifik. Es handelt sich zumeist um ehemalige Kolonien Frankreichs oder Großbritanniens.

Diejenigen Staaten, die sogenannte „Good Governance“, also wünschenswertes politisches und wirtschaftliches Verhalten beweisen, erhalten Zollerleichterungen bei der Einführung von Waren in die EU. Ein Beispiel dafür ist die neue deutsche Afrikastrategie Deutschlands, der „Marshallplan mit Afrika“. Somit wird Entwicklungshilfe zum politischen Druckmittel, um Fortschritt, Demokratie und Marktwirtschaft herbeizuführen. Angemerkt sei: Es ist keineswegs klar, ob diese europäischen Konzepte in Afrika überhaupt am rechten Platz sind und tatsächlich positive Auswirkungen auf den Kontinenten haben – oder ob sie nicht nur versuchen, den Kontinent ohne jeglichen Mehrwert in eine für ihn nicht ausgelegte europäische Form zu pressen.

Zusätzlich zur Entwicklungskooperation wird für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz ein Prozent des jährlichen EU-Haushalts bereitgestellt, was etwa vier Euro pro EU-Bürger entsprechen. Die EU handelt in dieser oft nicht unproblematischen Verteilung der begrenzten Mittel gemäß der Grundsätze „Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit“. Kritiker bemängeln zwar, die bereitgestellten Gelder seien bei Weitem nicht ausreichend. Doch trotzdem muss man feststellen, dass die EU in den letzten Jahren immerhin klare Strukturen und Pläne für die Entwicklungszusammenarbeit geschaffen hat.

Die Afrikanische Union – ein ebenbürtiger Partner?

Hoffnungsträger der EU für die Ausweitung der derzeitigen interkontinentalen Beziehungen ist die in den Kinderschuhen steckende Afrikanische Union (AU). Nach dem Vorbild der Europäischen Union wurde sie erst 2001 in Addis Abeba, Äthiopien, gegründet, und umfasst seit 2017 alle afrikanischen Staaten. Theoretisch soll sie gemeinsame Interessen mit einer Stimme vertreten und so eine eigene Innen- und Außenpolitik führen. Ihr Fokus liegt dabei auf der Herstellung und Wahrung von Frieden und Sicherheit auf dem afrikanischen Kontinent.

Die Beziehungen zur EU sind nicht unproblematisch: Afrikanische Staatschefs verdächtigen die EU oft, Afrika europäische Standards aufdrängen zu wollen und schreiben ihr eine Obsession mit Menschenrechten und verantwortungsbewusster Regierungsführung zu. Viele von ihnen ziehen deshalb oft chinesische Investitionen, die nicht an solche Bedingungen geknüpft sind, europäischen vor. Aber auch wirtschaftliche Themen führen zur Spaltung: Während die EU gerne mehr in den Süden exportieren würde, fürchten afrikanische Staaten den Wettbewerb mit billiger europäischer Ware.

Eine sich schnell wandelnde Welt, in der immer mehr Staaten oft eigennützige, aggressive Entwicklungspolitik betreiben, verlangt von der EU eine neue, zweigeteilte Afrika-Strategie. Einerseits muss auch sie eigene Interessen ehrlich zugeben und so schnell wie möglich ein neues Verhältnis zu Afrika aufbauen. Partner statt Geber, lautet hier die Devise. Andererseits fällt ihr die wichtige Rolle zu, sich vehement und lautstark für Menschenrechte und Demokratie einzusetzen – auch wenn das zu möglichem Zwist mit China führen kann. Nur wenn Europa mit geeinter Stimme in Afrika auftritt, kann es im Wettbewerb mit größeren Mächten überhaupt etwas bewirken. Wenn diese Einigung aber gelingt, kann bald jeder Europäer jeglichem „Armut, Löwe, Hitze“ ein lautes, selbstsicheres „Chance!“ hinterherrufen.